Die SVP ist mit ihren Frontalangriff auf das Schengen-Dublin-System fast durchwegs gescheitert. Der Nationalrat stellte sich in der ausserordentlichen Session vom Mittwoch mehrheitlich auf den Standpunkt, dass das Schengen-Abkommen nichts mit steigender Kriminalität und Asylmissbrauch zu tun hat und überwiegend Vorteile bringt.
Die Entwicklung gebe der SVP Recht, die Schweiz sei «ein Hort der Unsicherheit» geworden, sagte Adrian Amstutz (SVP/BE) zum Auftakt der Debatte. Die Straftaten hätten zugenommen. «Unser Land wird ausgenommen wie eine Weihnachtsgans.»
Die Vertreterinnen und Vertreter der anderen Parteien warfen der SVP vor, mit falschen Zahlen zu jonglieren. Das Ziel der Debatte sei einzig, Stimmung zu machen und den Teppich zu legen für kommende Volksabstimmungen, kritisierte Martin Landolt (BDP/GL). «Unter dem Titel einer lösungsorientierten Sachpolitik wird diese Debatte jedenfalls nicht in die Geschichte eingehen.»
Viele Rednerinnen und Redner wiesen darauf hin, dass es schon vor dem Beitritt der Schweiz zum Schengen-Raum keine systematischen Grenzkontrollen gegeben habe. Die Kriminalität habe - wenn überhaupt - nicht wegen Schengen zugenommen.
Kriminalität in Wellen
In den letzten 30 Jahren habe sich die Kriminalität immer in Wellen bewegt, gab Balthasar Glättli (Grüne/ZH) zu bedenken. So habe es etwa im Jahr 1982 mehr Einbrüche gegeben als heute. «Das ganze Gerede von der Kriminalitätsexplosion ist schlicht eine statistische Lüge.»
Unter dem Strich habe Schengen mehr Sicherheit gebracht, lautete der Tenor im Rat. Dies sieht auch der Bundesrat so: Auf die grenzüberschreitende Kriminalität gebe es nur eine Antwort, nämlich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit, sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga. Und genau das würden die Abkommen und Schengen und Dublin bringen. Diese zu kündigen, sei eine «absolute Schnapsidee».
Eingriff in die Grundrechte
Die Forderung der SVP nach einem Austritt aus dem Schengen-Raum blieb denn auch chancenlos. Der Nationalrat hat jedoch etlichen anderen Vorstössen zugestimmt, über die er im Rahmen der Debatte zu befinden hatte. Die Motion von Christophe Darbellay (CVP/VS) für DNA-Tests bei Asylsuchenden hiess er mit 92 zu 85 Stimmen bei 12 Enthaltungen gut
Sagt auch der Ständerat Ja, muss der Bundesrat eine Rechtsgrundlage für solche Tests schaffen. Das möchte er nicht: Präventive DNA-Tests würden einen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen darstellen und dem Verfassungsgebot der Verhältnismässigkeit widersprechen, schrieb der Bundesrat in seiner Antwort auf den Vorstoss. Auch die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren sprach sich dagegen aus.
Darbellay begründete seinen Vorstoss damit, dass die Delikte in manchen Kantonen seit dem arabischen Frühling stark zugenommen hätten. DNA-Tests seien kostengünstig und würden es erlauben, Asylbewerber im Falle von Vergehen zu identifizieren.
Breite Zustimmung erhielten auch Vorstösse aus den Reihen der SVP und der CVP für eine Aufstockung des Grenzwachtkorps. Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf mahnte den Rat, dann auch die finanziellen Mittel zu sprechen.
Probleme nicht ignorieren
Weiter verlangt der Nationalrat, dass der Bundesrat mit den Nachbarländern über Massnahmen im Kampf gegen die Kriminalität verhandelt und einen Bericht zu Verbesserungen des Schengen/Dublin-Systems vorlegt. Er hiess entsprechende Vorstösse aus den Reihen der CVP gut.
Die Bevölkerung sei verunsichert, sagte Ruth Humbel (CVP/AG). Die Fakten gäben Anlass zu Sorge, auch im Zusammenhang mit kommenden Abstimmungen. Es sei daher wichtig, die Missbräuche «sicht- und spürbar» zu bekämpfen.
Massnahmen gegen Randalierer
Ein Erfolg war die Debatte auch für die FDP. Der Nationalrat nahm sämtliche Vorstösse ihrer Fraktion an. Er möchte, dass straffällige und randalierende Asylsuchende, die sich bereits in einem Kanton aufhalten, umgehend in Bundeszentren zurückgebracht werden. Asylsuchende aus Staaten, die der Bund als sicher einstuft, sollen gar nicht mehr auf die Kantone verteilt werden. Ausserdem soll der Bundesrat Rückführungen nach Italien mit dem Zug ermöglichen.
Knapp abgelehnt wurde ein Vorstoss, mit dem die SVP vorläufig Aufgenommenen das Recht auf Familiennachzug entziehen wollte. Der Rat sprach sich mit 92 zu 91 Stimmen bei 7 Enthaltungen dagegen aus. Angenommen wurden dagegen SVP-Vorstösse, die den Bundesrat beauftragen, Rückübernahmeabkommen abzuschliessen, damit Asylsuchende in ihre Herkunftsländer gebracht werden können. Über die gutgeheissenen Vorstösse muss noch der Ständerat befinden.