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Session Ihr letzter Tag

Mit Parteiparolen konnte sie nicht viel anfangen – auch nicht immer mit den eigenen. Nun tritt die Aargauer Ständerätin Christine Egerszegi von der nationalen Politbühne ab. Heute ist ihr letzter Tag im Parlament.

Bildergalerie Christine Egerszegi

Für Melancholie hat Christine Egerszegi keine Zeit. Dafür war in den letzten Tagen einfach zu viel los. Altersreform, Energiewende – gleich zwei Monsterprojekte gab es zu besprechen, bevor Egerszegi am Donnerstag im Ständerat zum letzten Mal den Abstimmungsknopf drückte. Dass es ihre letzte Session ist, darüber konnte sie sich noch keine Gedanken machen.

20 Jahre lang war die Aargauerin im Bundeshaus. Erst als Nationalrätin, ab 2007 als Ständerätin. Wird ihr die Politik nicht fehlen? «Ich kann mir gut vorstellen, dass ich bei der nächsten Session im Internet nachschaue, was meine Kollegen entschieden haben», sagt sie. Als Rücktritt will sie ihren Abschied von der Bundespolitik aber nicht verstanden haben. «Vielmehr ist es so, dass ich nie gerne Wahlkampf geführt habe. Und bei den letzten Wahlen sagte ich mir: Das war jetzt mein letzter Wahlkampf.»

Den Kampf um den Sitz im Ständerat wird sie also nicht vermissen; anderes dafür ein bisschen mehr. Zum Beispiel den Informatikdienst des Bundeshauses. «Sie haben mich jeweils gerettet, wenn mein Computer wieder einmal abgestürzt war.»

«Die FDP hat ihren grünliberalen Flügel verloren»

Mit Christine Egerszegi tritt eine Politikerin ab, die das Parteiprogramm mehr als Leitfaden denn als Bibel betrachtete. In Gesellschafts- oder Migrationsfragen politisierte sie deutlich linker als ihre Partei. Da überrascht es wenig, dass sie das Heu mit Präsident Philipp Müller nicht immer auf der gleichen Bühne hatte. Dieser fährt beispielsweise in der Asylfrage einen deutlichen Rechtskurs. «Ganz allgemein ist die Partei seit 2011 nach rechts gerutscht», stellt Egerszegi fest. Der Grund dafür? «Die FDP hat ihren grünliberalen Flügel an die GLP verloren.»

Abtretende Parlamentarier

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Zahlreiche Parlamentarierinnen und Parlamentarier verabschieden sich in diesen Tagen von der politischen Bühne in Bern. SRF stellt eine Reihe von ihnen heute in diversen Sendungen in Radio und TV näher vor.

In der FDP ist Egerszegi nach eigener Aussage «durch Zufall» gelandet. Auch ihr Einstieg in die Politik war alles andere als geplant. Den Ausschlag gab ein Erlebnis, das sie mit 34 Jahren als Leiterin einer Musikschule hatte. «Damals fiel eine Musiklehrerin aus, weil sie ins Spital musste», erinnert sie sich. Statt für die Frau einen Ersatz zu suchen, forderte die Schulpflege die Lehrerin auf, selber eine Nachfolgerin zu organisieren und für deren Lohn aufzukommen.

Egerszegi wandte sich an den Stadtrat, damit dieser den Entscheid der Schulpflege zurücknehme. «Der Stadtrat lehnte ab mit den Worten: ‹Weil es so gut funktioniert hat, lassen wir es, wie es immer war.›» Kein überzeugendes Argument, fand Egerszegi. «Und weil man alleine nichts bewirken kann, bin ich daraufhin einer Partei beigetreten.» Zur FDP kam sie, weil ihr Mann bereits Mitglied war. «Ich bin aber eine typische Mitte-Politikerin», sagt Egerszegi von sich selber.

Sätze für «10vor10»

Was hat sich in 20 Jahren Bundeshaus verändert? «Die Arbeit im Parlament hat zugenommen.» Einerseits, weil man durch Emails immer und für alle erreichbar sei. Andererseits, weil man sich heute besser vorbereiten müsse, wenn man im Parlament das Wort ergreife. «1995 hatten wir Parlamentarier noch drei Tage Zeit, um das Protokoll der Ratsdebatte im Nachhinein etwas zu frisieren», sagt die 67-Jährige mit einem Schmunzeln. «Heute geht das nicht mehr. Eine Stunde, nachdem man gesprochen hat, ist alles auf dem Netz – und zwar so, wie man es gesagt hat.»

Auch die Präsenz der Gratismedien habe die Parlamentsarbeit verändert. «Schlagzeilen sind wichtiger geworden.» Das mache sich aber auch anderswo bemerkbar, sagt Egerszegi. «Es gibt Sätze in der Ratsdebatte, da weiss man genau – das ist nur für die Kamera von ‹10vor10›. Und oft sind es nicht die wichtigsten.»

Unheilige Allianzen im Nationalrat

Doch auch die Stärkung der Pole habe zu einem raueren politischen Klima beigetragen. «Heute kommt es immer wieder vor, dass eine Vorlage den Ständerat fast ohne Gegenstimmen passiert – und dann im Nationalrat abstürzt, weil es den Rechten zu weit, den Linken hingegen zu wenig weit geht.»

Als Politikerin, die oft gegen die Parteilinie stimmt, kam ihr die Debattierkultur im Ständerat entgegen. «Parteiparolen sind dort verpönt», sagt Egerszegi und erinnert sich an einen ihrer ersten Tage im Ständerat. «Damals begann ich eine Rede mit den Worten ‹Wir sind damit einverstanden, dass – ›. Da unterbrach mich Kommissionspräsident Urs Schwaller von der CVP und fragte mich: ‹Und wen meinst du mit wir, die Aargauer?›». Sie lacht. «Ich habe schnell dazu gelernt.»

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