Tabakwerbung im Wandel der Zeit
Wir sind mitten im Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit. Ein behaglich eingerichtetes Wohnzimmer, irgendwo in Deutschland. Genüsslich zieht der Herr des Hauses an seiner Güldenring. «Na, schmeckt’s?», fragt der Filius. Keine Antwort, nur ein seliges Lächeln. Papa versinkt im Familiensofa. Der Sohnemann wird in eine dicke Schwade blauen Dunst eingehüllt.
Jetzt, der Abwasch ist erledigt, möchte auch Mutti eine rauchen. Der Knirps gibt Feuer und verschwindet, schon wieder, im Nebel. Kein Husten, kein Röcheln, kein Katarrh. Das perfekte Familienglück, wie es sich die Pioniere der Fernsehwerbung ausmalen.
Schnurrbärte für die Massen
Doch die Tabakmultis richten den Blick nach vorn. Während die Hippies die verkrustete Bürgerlichkeit beerdigen, schaffen sie neue Helden für eine neue Zeit. Die ersten Supermodels flanieren rauchend über den Laufsteg. Verwegene Schnurrbärte ziehen durch die Prärie und erobern, Lungenzug um Lungenzug, leicht bekleidete Schönheiten. Vier Marlboro-Männer erliegen später den Folgen des Rauchens. Damals gehört ihnen die Welt.
Und auch über die Schweizer Berge ziehen Rauchschwaden. Skifahrer wedeln als helvetische Marlboro-Männer die Pisten hinunter, zwei der markantesten Werbeikonen der Zeit sind Schweizer: Der Berner George Herriger erlangt als «Camel-Man» Berühmtheit; der Luzerner Beat Wyss lächelt als Parisienne-Protagonist von den Plakatwänden. Wer nicht, buchstäblich, mitzieht, bleibt aussen vor.
«Die Lunge ist dein letzter Filter»
Dabei wird früh klar, dass der blaue Dunst nicht harmlos ist. 1950 belegt der britische Forscher Richard Doll: Rauchen gefährdet Ihre Gesundheit. Die Industrie lanciert sündhaft teure Gegenkampagnen, um jeden Zusammenhang zwischen Lungenkrebs und Rauchgenuss zu widerlegen. In Fernsehspots und Hochglanz-Postillen beschwichtigt die paffende Ärzteschaft gleich selbst: «More doctors smoke Camel than any other cigarette.»
Doch jetzt reagiert auch die Schweizer Politik. 1964 verschwindet die Zigarettenwerbung aus dem Fernsehen; in den Kinosälen läuft sie derweil zur Hochform auf. 1968 lanciert der Kanton Zürich die Kampagne «Die Lunge ist dein letzter Filter». Beamte, ausgerüstet mit Aktenkoffer und Bürstenschnitt, strömen an die Schulen. Sie warnen die Raucher in spe mit, wie die «Antenne» des Schweizer Fernsehens verkündet, «recht gutem Dokumentationsmaterial» vor dem, was da noch kommen mag.
Mehr Sex versprühen freilich die Ikonen der milliardenschweren Tabakindustrie. Und auch wenn Marcel Reich-Ranicki und Friedrich Dürrenmatt beinahe das «Literarische Kaffeehaus» abfackeln, wissen die Fernsehzuschauer: Der Mann von Welt raucht.
Am Gängelband der Sucht
Die Gesundheitslobby erkennt die Zeichen der Zeit und greift zu drastischeren Mitteln. Bald schon ziehen fleischgewordene Warnhinweise durch alle Medienkanäle. Ihr Markenzeichen: gelbe Zähne, aschfahles Gesicht, Raucherbein – um nur die harmloseren Sujets aufzuzählen. Zur besten Sendezeit steigt im Schweizer Fernsehen eine Sonde in die Lunge eines Krebspatienten hinab. Nichts für schwache Nerven.
Einer ganzen Generation von Schülern brennt sich in den 1980er-Jahren der Antiraucher-Film «Der Duft der grossen weiten Welt» ein. Der unbestrittene Höhepunkt: Eine Armada an kehlkopfkranken Cowboys reitet durch unberührte Wildnis – eine markerschütternde Parodie auf den Marlboro-Mann. Die Tabakmultis setzen den Schockkampagnen eine neue Produktpalette an Mild- und Light-Zigaretten entgegen. Ärzte, die sie empfehlen würden, finden sich kaum.
Die Tabakindustrie stellt fest: Das Bundesamt für Gesundheit gefährdet unsere Gewinne.
Mitunter nehmen die Rückzugsgefechte der Industrie groteske Formen an. Noch 1994 vertritt der Branchenriese Philip Morris vor dem US-Kongress die steile These, dass Rauchen nicht süchtig macht. Firmeninterne Studien bewiesen schon 1969 das Gegenteil. Die Justiz bricht das Kartell des Schweigens und verdonnert die Tabakindustrie zu Milliardenzahlungen an geschädigte Raucher und Hinterbliebene.
Schliesslich geht es auch den Maskottchen an den Kragen. 1997 pfeifen die US-Behörden Joe Camel zurück – die kettenrauchende Comicfigur verführe gezielt Kinder und Jugendliche zum Rauchen. Ganz ohne Druck der Justiz wird Lucky Luke zum Pionier der political correctness: Schon 1983 tauscht er Fluppe mit Strohhalm (und bemüht sich mittlerweile, Konflikte gewaltfrei zu lösen).
Rauchen als Mutprobe
Doch es regt sich Widerstand. Verbannt in Glasboxen und Fumoirs wittern Freigeister einen Krieg gegen die Raucher. Der Philosoph Peter Sloterdjik sieht das Erwachen «postdemokratischer Verbotsgesellschaften». Für andere hat die «Stunde der Eiferer» geschlagen: «Selbsternannte Rauchsheriffs» ziehen durchs Land und frönen, so der Vorwurf, ihrem kleingeistigen Denunziantentum.
Findige Werber springen auf den Zug auf. Sie kontern die «Gesundheitsayatollahs» mit lässigem Fatalismus: «Don’t be a maybe» (frei übersetzt: «Sei kein Waschlappen») höhnt Marlboro. « Hauptsache , man macht es allen r echt» , findet auch Lucky Strike. Routiniert drucken die Multis die «Rauchen kann tödlich sein»-Slogans auf die Zigarettenschachteln – es klingt wie eine Mutprobe. Was sich nicht mehr leugnen lässt, soll wenigstens als Leben auf der Überholspur verkauft werden.
Sendebezug: SRF 4 News, 31.5.2016.