Die Frühlingssession in 10 Bildern
Differenzbereinigung, Einigungskonferenz, Schlussabstimmung: Mit solchen Wortungetümen schreibt sich eigentlich kein Polit-Thriller. Dass sich trotzdem einer entwickelte, war der Bedeutung des Dossiers geschuldet: Es ging um die «Altersvorsorge 2020» – und damit um nichts weniger als unser aller Zukunft.
«Scheitern ist keine Option!», mahnte einer der wichtigsten Protagonisten des Rentenpokers, Bundesrat Alain Berset. Dass Scheitern durchaus eine Option war, belegten jedoch die dreiwöchigen Kammerspiele zwischen National- und Ständerat: Besonnene Sozialpolitiker verbarrikadierten sich bis zuletzt im ideologischen Schützengraben. Die Renten- wurde zur Glaubensfrage – Bundesrat Berset bangte um sein politisches Vermächtnis.
Als die Stunde der Wahrheit kam, richtete er sich in väterlichem Ton an die Räte:
Die Emotionen, die Leidenschaften gehen hoch. Das ist normal und zutiefst menschlich – am Ende sind wir keine Maschinen.
Es half alles nichts. Das Gelände war von Anfang an vermint.
Opium fürs Stimmvolk?
Was kostet die Welt? «70 Franken!», schallte es tausendfach aus Gewerkschaftskehlen, sogar die CVP stimmte mit ein. Mit dem Zustupf für AHV-Neurenten sollen Ausfälle in der 2. Säule kompensiert werden. «Das ist ein Feigenblatt, um die Volksabstimmung zu gewinnen!», polterte Thomas de Courten (SVP/BL) – dafür nehme die Mitte-Links-Allianz einen grundlegenden Systemfehler in die Altersvorsorge in Kauf.
Die schwer verdauliche Reform schaffte es auch an die Basler Schnitzelbänke. Sie hatte aber einen schweren Stand:
«Will d Wohret isch
kasch s nid verschtegge
Au fir Di
Schaffe, zahle und verregge!»
Bersets längste 45 Sekunden
Galgenhumor bemühte auch Lorenz Hess. Der BDP-Nationalrat legte vor der Einigungskonferenz den grössten Kalauer der Bundesverwaltung, das Beamten-Mikado, neu auf: «Am Ende wird nicht das Parlaments-Mikado entscheiden: Wer sich zuerst bewegt, verliert.» Die Schicksalsfrage sei, so Hess: «Wer will die Reform versenken – oder eben nicht?»
Nach der Einigungskonferenz gab FDP-Fraktionschef Ignazio Cassis eine ungeschminkte Antwort: Es sei liberale Pflicht, die Reform zu versenken: «Denn sonst muss die junge Generation den Brand löschen.»
Am Schluss setzte sich haarscharf das 70-Franken-Modell des Ständerats durch. Die rechtsbürgerlichen Löscharbeiten wurden von den beiden Lega-Nationalräten behindert; tags zuvor war bereits die GLP umgeschwenkt.
Fazit: Am Ende waren manche unzufriedener als andere, Jubelsprünge machte niemand. Denn auch Mitte-Links erlitt bei der Erhöhung der Mehrwertsteuer um 1 Prozent Schiffbruch.
Übrig blieb, wie auch an der Basler Fasnacht, bittersüsser Fatalismus:
«E letschts Moll dien mier feschte, singe
liebe, tanze, toobe, springe
E letschts Moll lääbe bis es knallt
Mir wärde ainewääg nid alt»
Äussere Erschütterungen
Doch die Räte richteten den Blick nicht nur in eine ungewisse Zukunft. Nur einen Pflastersteinwurf vom Bundeshaus entfernt lieferten sich Chaoten – just vor Sessionsbeginn – eine Strassenschlacht mit der Polizei. Trotz der «linksextremen Gewaltexplosion» (SVP-Ständerat Peter Föhn) vor der Reitschule: Die kleine Kammer lehnte drakonische Strafen bei Aggressionen gegen Beamte ab; sie votiert für Einzelfallbeurteilung.
Auch gegenüber anderen «Vermummten» sah der Ständerat keinen Handlungsbedarf: In der Schweiz darf weiter Burka getragen werden. Sache der Kantone, fand Andrea Caroni (FDP/AR) – und schlug einen Bogen zur Zwangsverschleierung in seiner Heimat: dem Nacktwanderverbot im Appenzellerland. Dabei habe es, wie der Innerrhoder Ständeratspräsident Ivo Bischofberger zur allgemeinen Belustigung nachschob, «auch ein ästhetisches Kriterium gegeben».
Und dann geschah es: Am 6. März um 21:12 Uhr bebte am Klausenpass die Erde. Die Erschütterungen waren bis in die Bundeshauptstadt zu spüren. Berichten zufolge sollen im Berner Breitenrainquartier mehrere Katzen aufgewacht sein. Ein politisches Nachbeben blieb aus: Die Einführung einer eidgenössischen Erdbebenversicherung wurde nicht neu diskutiert.
Kosmische Verwerfungen
Wer bisher den «Inkognito-Modus» seines Browsers bemühte, um unerkannt zwielichtige Webseiten anzusteuern, kann seine PC-Anwenderkenntnisse schon bald für ein anderes Laster verfeinern: Denn der Zugang zu Glücksspielen auf ausländischen Online-Portalen soll gesperrt werden. Die Netzsperre lässt sich jedoch ohne Weiteres umgehen.
Für eine Art Brechtsche Brechung sorgte schliesslich SRF-Anchorman Florian Inhauser: «Wie moderiert man in einer SRF-Tagesschau eine Initiative an, die die Abschaffung der Gebühren fordert, mit der wiederum die Tagesschau finanziert wird? Selbstverständlich neutral.» Ein Riss im Raum-Zeit-Kontinuum blieb glücklicherweise aus – trotz der paradoxen Konstellation.
Für den Fall, dass die No-Billag-Initiative angenommen werden sollte, lassen sich verheerende kosmische Verwerfungen freilich nicht ausschliessen.