Wie ernst ist die Lage der Schweizer Weinbranche? Der Absatz ist stark gesunken. Im Jahr 2024 wurden 16 Prozent weniger Wein getrunken als im Vorjahr, das sind 77 Millionen Liter Schweizer Wein statt 92 Millionen Liter. Für Winzerinnen und Winzer bedeutet das weniger Umsatz. Wie existenziell die Situation ist, lässt sich schwer beurteilen. Im Parlament wird sie als dramatisch eingeordnet. Das hängt auch damit zusammen, dass die Branche politisch gut vernetzt ist, sie wird gehört. Der Ständerat hat beschlossen, dass der Bund sofort zusätzliche 10 Millionen Franken für die Absatzförderung – also Weinwerbung – ausgeben soll.
Warum sorgt die geplante Soforthilfe für Kritik? Aus gesundheitspolitischer Sicht ist der sinkende Alkoholkonsum positiv. Man könnte ihn auch als erfolgreiche Suchtprävention bezeichnen, in die das Bundesamt für Gesundheit viel investiert. Entsprechend empört reagierte zum Beispiel das Blaue Kreuz, als das Bundesamt für Landwirtschaft im Frühling bei der Publikation der Zahlen zum sinkenden Weinkonsum von einem «besorgniserregenden Trend» redete. Der Bund steckt in einem Dilemma. Auf der einen Seite soll er den Konsum und damit einen ganzen Wirtschaftszweig fördern; dazu gehören neben den Weinbäuerinnen und -bauern auch die Gastronomie und Teile der Kulturbranche. Gleichzeitig soll er die Prävention fördern.
Gibt es parteiinterne Konflikte? Innerhalb der SP prallen Positionen besonders sichtbar aufeinander: Pierre-Yves Maillard will an vorderster Front den Weinbau retten. Gesundheitspolitikerin Barbara Gysi sagte in der Rundschau, dass wir froh sein sollten, dass der Alkoholkonsum zurückgehe. Sie warnt vor widersprüchlichen Subventionen. Gleichzeitig mehr und weniger Weinkonsum fördern, geht schlicht nicht. Genau solche Subventionen, die in entgegengesetzte Richtungen wirken, wollte die Gruppe um den ehemaligen Finanzchef des Bundes, Serge Gaillard, kürzen. Mit ihrem Bericht hat sie die Grundlage für das Entlastungspaket gelegt, das im Moment im Parlament ist. Mit den zusätzlichen Millionen für die Weinwerbung torpediert das Parlament dieses Ziel.
Wie viel Wein ist gesund? Zu reden geben im Parlament ebenfalls die Empfehlungen des Bundes zum Weinkonsum. Bis anhin gelten ein Glas Wein für Frauen und zwei für Männer als unproblematisch. Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt dagegen, keinen Alkohol zu trinken. Länder wie Deutschland oder Kanada haben ihre Empfehlungen bereits an die Richtlinien der WHO angepasst. Diese Empfehlung soll jetzt auch die Schweiz übernehmen, dagegen regt sich im Parlament aber Widerstand.
Wie geht es jetzt weiter? Nach dem Ständerat berät nun wieder der Nationalrat – der Entscheid wird heute oder morgen erwartet. In der Grossen Kammer war die Zusatzfinanzierung zuletzt mit Stichentscheid der Präsidentin knapp gescheitert. Der Ausgang bleibt offen.