Sonderpädagogische Massnahmen werden Buben fast doppelt so häufig verordnet wie Mädchen. Das zeigen Daten des Bundesamts für Statistik (BFS).
Die Zahlen zeigen auch, dass vor allem Kinder nicht-schweizerischer Herkunft eine sonderpädagogische Begleitung erhalten. Es sind also meistens Buben mit einem Migrationshintergrund, die möglicherweise einen Nachteil in der Schulbildung haben. Was sind die Gründe?
Erwartungen der Lehrkräfte
«Man weiss, dass es Zuweisungsmechanismen gibt, die mit den Erwartungen der Lehrkräfte oder der abklärenden Personen zu tun haben», sagt Elisabeth Moser, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaft an der Universität Zürich.
Sie nennt ein Beispiel: 2005 nahmen Lehrpersonen und Schulpsychologinnen und -psychologen in mehreren Schweizer Kantonen an einer Umfrage teil. Ihnen wurde ein Fallbeispiel eines Knaben vorgelegt, der bestimmte Verhaltensweisen zeigte.
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In der einen Gruppe hiess der Junge Lukas, in der anderen Bekir. Die Lehrkräfte wurden gefragt, welche Massnahmen sie beim verhaltensauffälligen Kind vorschlagen würden. «Für den Jungen mit dem Namen Bekir wurden signifikant häufiger aus dem Regelunterricht aussondernde Massnahmen vorgeschlagen», so Moser.
Allerdings habe sich diese Tendenz bei den Schulpsychologen deutlich weniger stark gezeigt, konkretisiert die Erziehungswissenschaftlerin.
Sozioökonomische Gründe
Ein weiterer Grund sei, so Moser, dass es einen Zusammenhang gebe zwischen Leistung und Herkunft. «Bei Jungen mit einem höheren sozioökonomischen Status steigen die Leistungen stärker an.»
Umgekehrt fallen die Leistungen bei jenen mit einem niedrigen sozioökonomischen Status ab. «Man nimmt an, dass es schichtspezifische Männlichkeitsentwürfe sind, die Auswirkungen auf die Leistungen haben – und die sich auf die Zuweisungen zu den sonderpädagogischen Massnahmen auswirken.»
Längsschnittuntersuchungen aus der Schweiz und Deutschland zeigten, so Moser, dass Schülerinnen und Schüler mit einer Lernschwierigkeit oder einer geistigen Behinderung signifikant mehr lernen, wenn sie die Regelschule besuchen.
Ob die sonderpädagogischen Massnahmen zum Nachteil werden, hänge deshalb davon ab, ob die Jungen mit Migrationshintergrund in eine Sonderschule geschickt werden. «Wenn sie innerhalb der Regelschule zusätzliche Unterstützung durch einen Sonderpädagogen erhalten, ist das etwas Sinnvolles.» Denn so würden auch die Lehrkräfte entlastet.