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Späte Versöhnung «Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen, Herr Borer»

Christoph Meili hat in den 1990er-Jahren Thomas Borer das Leben schwer gemacht. Das emotionale Wiedersehen nach 20 Jahren.

Die beiden Kontrahenten von damals begrüssen sich, als wären sie alte Freunde. «Etwas zugenommen haben Sie, Herr Meili», stichelt der damalige Sonderbotschafter Thomas Borer. «Und Sie, Herr Borer, sind grau geworden», erwidert der Whistleblower Christoph Meili.

Nach 20 Jahren Funkstille treffen Borer und Meili im Zürcher Kino «Le Paris» wieder aufeinander. Sie sind gekommen, um sich für das SRF-Nachrichtenmagazin «10vor10» gemeinsam den Dokumentarfilm «Die Affäre Meili» anzusehen, in dem sie die Hauptprotagonisten sind.

Grosse diplomatische Krise

Als sich Christoph Meili und Thomas Borer während der späten 1990er-Jahren zum letzten Mal sahen, trennte sie der Streit um die nachrichtenlosen Vermögen – für die Schweiz die grösste diplomatische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Im Zentrum des Zwists: Der Umgang der Schweizer Banken mit nachrichtenlosen Vermögen. Also mit Geld, das Juden während der Nazizeit in der Schweiz in Sicherheit brachten und das nach deren Tod auf Schweizer Bankkonten liegen blieb – und das die Banken unter Vorwand des Bankgeheimnisses nicht herausgeben wollten.

Die Kritik an der Schweiz kam aus den USA. Treibende Kraft war der Anwalt Ed Fagan, der in der Schweiz für viele zur Hassfigur wurde. Im Namen verschiedener Holocaust-Opfer verklagte er die Schweizer Grossbanken auf 20 Milliarden Dollar.

Unterwegs im Auftrag des Bundes

Thomas Borer wurde vom damaligen Aussenminister Flavio Cotti als Sonderbotschafter eingesetzt. Seine Aufgabe war es, den Image-Schaden für die Schweiz so gering wie möglich zu halten. Whistleblower Christoph Meili jedoch machte ihm einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.

«Wegen Ihnen habe ich graue Haare bekommen, Herr Meili», sagt Borer heute, während sich die beiden in den Kinosaal begeben. «Sie haben mir das Leben schwer gemacht. Wären Sie in der Schweiz geblieben, hätte das uns beiden viel Ärger erspart», so Borer.

Held oder Verräter?

Christoph Meili rettete im Januar 1997 Akten mit jüdischen Namen aus dem Schredder-Raum einer Bank – Dokumente, die ansonsten widerrechtlich zerstört worden wären. Für diese Tat wurde er zu Beginn weltweit als Held gefeiert, doch in der Schweiz wurden auch Stimmen laut, die in ihm einen Verräter sahen. Als er und seine Familie anonyme Morddrohungen erhielten, entschied sich Meili, in die USA auszureisen.

Dort wurde er von Anwalt Ed Fagan umgehend in Beschlag genommen. Unter Fagans Regie schoss Meili aus dem US-Exil medienwirksam gegen die Schweiz und deren Banken. Er goss Öl in die Flammen, auf die Thomas Borer den Feuerlöscher hielt.

Wilder Westen USA

Mittlerweile bereut Meili, dass er in die USA ausgewandert ist. «Ich wurde von Fagan missbraucht», hört man ihn im Film sagen. Dieser habe ihn gnadenlos für seine Zwecke missbraucht. Seit neun Jahren wohnt Christoph Meili wieder in der Schweiz. «Jetzt bleibe ich hier. Die USA, das ist Wilder Westen.»

Thomas Borer hört man im Film mehrere Male sagen, es sei eines seiner grossen Bedauern, dass er Christoph Meili damals nicht in der Schweiz halten konnte. Er habe sich bei Bundesrat Cotti und bei den Bankdirektoren dafür eingesetzt, dass sie sich öffentlich bei Meili für seine Tat bedanken; doch sei er damit auf taube Ohren gestossen. «Auch wir hätten ihm das Gefühl geben sollen, dass er ein Held ist.»

Späte Versöhnung

Nach dem Film ist Christoph Meili sichtlich aufgewühlt. Unter Tränen sagt er, nicht gewusst zu haben, dass sich Borer so für ihn eingesetzt habe. «Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen», sagt er mit erstickter Stimme, «ich habe teilweise übertrieben gehandelt und mich unnötig quergestellt». «Diese Entschuldigung nehme ich sehr gerne an», antwortet Borer und fügt hinzu, «wegen Ihres jugendlichen Alters konnten Sie gar nicht wissen, was da alles auf Sie zukommt.»

Beim Abschied gibt Borer Meili seine Kontaktdaten. Die beiden geben sich die Hand und fassen sich an die Schulter. «Wir sehen uns, Herr Meili.»

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