Das internationale Genf steht enorm unter Druck. Es droht ein massiver Abbau. Dennoch gibt sich Cassis zuversichtlich – und deutet gar neue Chancen an für das internationale Genf.
SRF News: Der Bundesrat hat nun ein Unterstützungs-, ein Investitionsprogramm beschlossen. Wie sind hier am UNO-Hauptsitz in New York die Reaktionen darauf?
Ignazio Cassis: Sehr positiv. Die Entscheidung des Bundesrates, das internationale Genf nicht nur finanziell zu unterstützen, sondern auch mit neuen Prioritätensetzungen fit für das neue Jahrhundert zu machen, zusammen mit Stadt und Kanton Genf, das wird sehr begrüsst.
Es geht für die Schweiz vor allem darum, besonders wichtige Elemente in Genf zu behalten.
Wir bekommen dazu sehr positive Rückmeldungen, auch von UNO-Generalsekretär António Guterres. Es geht für die Schweiz vor allem darum, besonders wichtige Elemente in Genf zu behalten. Und nicht mehr so wie früher, als es hiess, wir wollen mehr Stellen, egal welche. Nein, wir wollen mehr Stellen dort, wo wir Prioritäten setzen. Was den Rest betrifft, so können wir natürlich nicht die wegfallenden Gelder der USA ersetzen.
Sind Sie zuversichtlich, dass Sie zumindest einen massiven Abbau in Genf verhindern können?
Ja, in Genf ist keine Rede mehr von einem massiven Abbau. Zudem betrifft der Abbau eher Nebengeschäfte wie Logistik oder Verwaltung. Er betrifft nicht die strategisch wichtigen Teile der UNO.
Wir haben hier in New York erlebt, dass die Amerikaner den Auftritt des palästinensischen Präsidenten bei der UNO verhinderten; sie drohten das auch dem Präsidenten von Brasilien und andern an. Damit verletzen sie ihre Verpflichtungen als UNO-Sitzstaat. Ist das für die Schweiz eine Chance, wichtige UNO-Organe, allenfalls gar die Generalversammlung, nach Genf zu holen?
Die Folgen der US-Haltung für den UNO-Hauptsitz in New York werden von den Mitgliedsländern durchaus diskutiert. Das Ganze ist unerfreulich. Die UNO soll ermöglichen, dass sich Staaten und Menschen treffen, die einander nicht mögen. Wenn das nicht geht, brauchen wir gar keinen Multilateralismus.
Jeder kann nach Genf kommen, wenn seine Anwesenheit der Stabilität und dem Frieden dient.
Es ist einfach, einen «Klub von Freunden» zu haben, jedoch viel schwieriger, einen «Klub von allen» zu haben. Denn dort streitet man. Man führt womöglich gar Kriege. Und trotzdem ist es besser, miteinander im Dialog zu bleiben, als keinen Dialog zu haben. Entsprechend wird die US-Entscheidung gegen Mahmoud Abbas, den Präsidenten von Palästina, heftig diskutiert. Das würde in der Schweiz nicht passieren. Die Schweiz verfolgt hier einen klaren Kurs: Jeder kann nach Genf kommen, wenn seine Anwesenheit der Stabilität und dem Frieden dient.
Kann die Schweiz aktiv als Alternative zu New York werben?
Das wäre nicht sehr geschickt. Solche Dinge aktiv zu betreiben, ist keine gute Idee. Wir verkaufen unsere Stärken, aber ohne Abwerbungsaktionen bei anderen UNO-Standorten zu machen. Die Staaten merken schon, wo es am interessantesten ist für ihre Bedürfnisse.
Das Gespräch führte Fredy Gsteiger.