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Spuren prähistorischer Zeit Ältestes Dorf im Thurgau entdeckt: Wieso das national wichtig ist

Bei Frauenfeld wurden über 6000 Jahre alte Tonscherben ausgegraben. In einem Buch wird die Dimension bekannt.

Wo wurden die Funde entdeckt? In der Gemeinde Stettfurt im Kanton Thurgau, ganz in der Nähe der Hauptstadt Frauenfeld. Dort, hoch über dem Dorf, thront das Schloss Sonnenberg. Auf dieser markanten Anhöhe wurde das älteste Dorf im Kanton nachgewiesen. Vor weit über 6000 Jahren lebten Pfahlbauer auf dem Sonnenberg.

Warum wurde die Fundstelle entdeckt? Um das 14. Jahrhundert stand über Stettfurt noch eine Burg. Sie dürfte 1595 durch einen Brand zerstört worden sein. Das noch heute bestehende Schloss wurde auf den Ruinen errichtet. Dieses gelangte 1678 in den Besitz des Klosters Einsiedeln, welches das Schloss 2007 an eine Privatperson verkaufte. Der neue Schlossbesitzer wollte eine Tiefgarage bauen. Beim Aushub dafür haben Spezialisten des Thurgauer Amts für Archäologie historische Fundstücke entdeckt.

Archäologische Grabungen

Wie wurde gegraben? Die grossen archäologischen Grabungen fanden bereits 2009 statt. Bis 2016 sind nur noch kleinere Grabungen begleitend zum Schlossumbau durchgeführt worden. In den Sondierungen der Bauherrschaft sei ihr Spezialistenteam im Mai 2009 auf dicke Holzkohleschichten gestossen, sagt Simone Benguerel vom Amt für Archäologie.

Auf dem Sonnenberg stand das älteste Dorf im Thurgau.
Autor: Simone Benguerel Leiterin Amt für Archäologie Thurgau

Was wurde dabei gefunden? Aus den Holzkohleschichten habe sie die ersten Tonscherben ans Tageslicht gebracht. So auch eine des ältesten Bechers aus dem Thurgau. Diese Scherbe ist 6300 Jahre alt und belegt: «Auf dem Sonnenberg stand das älteste Dorf im Thurgau.»

Es handle sich dabei um Pfahlbausiedlungen ausserhalb der Seeufer, so Benguerel. Über Jahrtausende hätten Menschen auf dem Sonnenberg immer wieder Siedlungen angelegt. Sie hätten ihre Häuser auf dem Plateau gebaut und die Überreste der Dörfer ihrer Vorfahren unter sich abgelagert.

Die Archäologin Simone Benguerel mit einer Tonscherbe in der Hand
Legende: Archäologin und Buchautorin: Simone Benguerel mit ihrem ersten Fund: eine Tonscherbe – 6300 Jahre alt. SRF KATRIN KELLER

Was wurde gefunden und untersucht? Bei den Ausgrabungen sind Spuren prähistorischer Siedlungen, Töpfe und Werkzeug aus der Stein- und Bronzezeit entdeckt worden. Die Funde seien überraschend zahlreich und gut erhalten. So lagern heute im Funddepot des Kantons Thurgau in Frauenfeld Gefässe, Silex- und weitere Steinartefakte und Geräte aus Knochen und Geweih aus der Zeit um 3700 und 2800 vor Christus.

Historische Funde

Wieso sind diese Funde für die Schweiz wichtig? Diese Funde sind von nationaler Bedeutung, weil es ein Glücksfall sei, dass sie so gut erhalten sind. Durch den Bau des Schlosses seien sie nicht durch Erosionen zerstört worden. Vor allem aber sei damit eine Pfahlbausiedlung ausserhalb der Seeufer und anderer Feuchtbodengebiete gefunden worden. Die Expertin rechnet deshalb damit, dass solche jungsteinzeitlichen Siedlungen auch auf weiteren Hügelkuppen zu erwarten sind – nicht nur in Seenähe.

Die Funde sind so aussergewöhnlich, dass jetzt ein Buch dazu erschienen ist. Autorin ist die Grabungsleiterin selbst, Simone Benguerel: «Es ist ein Fachbuch für Archäologinnen, Archäologen und Interessierte – aber nicht nur.» Im Buch werden die Fundstücke ausgewertet und eingeordnet. Es werden Fotos mit witzigen Grabungssituationen gezeigt und Bilder, welche die prähistorischen Zeiten auf dem Sonnenberg realistisch darstellen.

Wisent
Legende: Solche Wisente, wie sie aktuell im Kanton Solothurn wieder angesiedelt werden, lebten früher im Thurgau. KEYSTONE/Anthony Anex

Was gibt es Kurioses zu erfahren? Im Buch über die Pfahlbausiedlungen auf dem Sonnenberg gibt es auch eine Analyse der Schlachtabfälle. Sie überliefert, was die damaligen Siedlerinnen und Siedler gegessen haben. So gab es vor Tausenden von Jahren in der Region Wildrinder wie Auerochse oder Wisent und deshalb - so Simone Benguerel - «zum Znacht auf dem Sonnenberg ein Wisent-Steak».

Bevölkerung spricht vom «Kranenberg»

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Die Entdeckungen am und im Berg haben auch dazu geführt, dass sich die Umbauarbeiten am Schloss erschwerten.

Auch heute, über zehn Jahre nach den ersten Funden, steht der Baukran immer noch. In der Bevölkerung ist daher bitterböse vom Kranenberg die Rede, wenn es um den Sonnenberg geht.

Immer wieder kam es zu langwierigen und hartnäckigen Diskussionen zwischen der Bauherrschaft, dem privaten Schlossbesitzer und der politischen Gemeinde Stettfurt. Gemeindepräsident Markus Bürgi sagt gegenüber SRF News, er versuche an der Seite der kantonalen Denkmalpflege im Austausch mit der Bauherrschaft vorwärtszukommen, und es gehe besser voran als auch schon. Von Zuversicht will er aber nicht sprechen.

Wie lange der Kran auf dem Sonnenberg noch steht und wie lange die Umbauarbeiten noch dauern: Markus Bürgi will keine Prognose wagen.

Regionaljournal Ostschweiz, 18.11.2023, 17:30 Uhr ; 

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