Da ist zunächst die statistische Frage, was zur Stadt und was zum Land gezählt wird. Gemessen werden meist die Bevölkerungs- und die Arbeitsplatzdichte. Diese Indikatoren allein bedeuteten aber noch nicht «Urbanität», sagt Anna John vom Büro Bilbao, das Sozialräume untersucht.
Laut John gehören dazu unter anderem die schwer messbaren zwischenmenschlichen Kontakte. Ein möglicher Ansatz sei die Dichte von Gastro-Angeboten: der Chai Latte als Symptom der Stadt quasi.
Wozu gehört die Agglomeration?
Was gefühlt klar erscheint, ist statistisch gar nicht so leicht zu erfassen. Politologe Georg Lutz von der Universität Lausanne weist darauf hin, dass Wahlen und Abstimmungen in den Agglomerationen gewonnen werden. Dort lebt der Grossteil der Bevölkerung.
In der politischen Realität entscheidet also der Speckgürtel und damit ein Zwischending, ein Kompromiss aus Stadt und Land. Die Frage ist nur: Auf welcher Seite des Grabens liegt diese Agglomeration?
Die fünf grossen Städte
Bei den politischen Einstellungen sei ein Unterschied vor allem zwischen den fünf grossen Städten der Schweiz und dem Rest festzustellen, erklärt Lutz. Zürich, Basel, Bern, Lausanne und Genf ticken linker als die Restschweiz.
Aber schon in Opfikon/ZH, Reinach/BL oder Ittigen/BE sieht die Politik anders aus, wie eine Auswertung des Politologen Sean Müller von der Universität Lausanne zeigt. Dort dominiert die bürgerliche Politik des Mitte-Lagers und – je weiter man in die Peripherie fährt – auch das rechte Lager.
Ein Grossstadt-Agglo-Graben
Am grössten sind also die Unterschiede zwischen Grossstadt und Agglomeration. Zu einer Mehrheit kommen die grossen Metropolen in Abstimmungen allerdings nur, wenn die Agglomerationen mitziehen. Bedeutender ist meist eine eher bürgerlich geprägte Land-Agglomeration-Koalition. Der Stadt-Land-Graben ist also eigentlich ein Grossstadt-Agglo-Graben.
Das hängt auch mit den Zentrumsfunktionen der Städte zusammen. Bildungsangebote, vielfältige Kultur-, Unterhaltungs- und Gastronomieangebote ziehen Junge an. Und diese tickten tendenziell linker, sagt Lukas Haffert von der Universität Genf.
Andere Perspektiven – weniger Durchmischung
Heute seien die Unterschiede zwischen Zentren und peripheren Gebieten viel grösser als noch vor 30 oder 40 Jahren, so Haffert: «Grosse Gleichmacher waren damals das Auto und der Fernseher: Die Menschen schauten die gleichen Sendungen und ergriffen häufig die gleichen Berufe.»
Heute seien die Unterschiede gerade bei den Berufen sehr gross geworden und die Durchmischung habe abgenommen: In der Stadt geht man eher an die Uni, auf dem Land mache man eher eine Lehre.
Ein Generationen-Graben
Der Stadt-Land-Gegensatz trennt also vor allem die Jüngeren, die heute in den Städten ganz andere Erfahrungen machen als die Älteren damals. Es sei aber zu vermuten, dass dieser Konflikt weiter an Bedeutung gewinnen werde, wenn die heute jungen Generationen älter werden.
Noch etwas melden die Forschenden: Die Unterschiede zwischen Stadt und Land seien in der Romandie viel kleiner als in der Deutschschweiz. Es zieht sich also ein Rösti-Graben durch den Stadt-Land-Graben. Sie sagen aber auch: Unterschiedliche politische Einstellungen in Stadt und Land seien an sich kein Problem, solange das politische System die Interessen auffangen könne. Und ein föderales Land wie die Schweiz ist dafür eigentlich ziemlich gut aufgestellt.