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Was Corona mit der Metropole Zürich macht
Aus Trend vom 18.09.2020. Bild: SRF Dario Pelosi
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Stadtentwicklung Corona verändert Metropolen nachhaltig

Covid-19 hat unseren Alltag verändert. Auch die Stadtzentren werden sich wandeln. Ein Spaziergang durch Zürich.

Treffpunkt ist das Kino- und Kulturzentrum Kosmos. Es befindet sich im Dreieck zwischen den Gleisen des Zürcher Hauptbahnhofs, der Langstrasse und der neuen Büro-Überbauung Europaallee. In Strassenkaffees sitzen Menschen an den Tischen in der Sonne, auf der Langstrasse staut sich der Feierabend-Verkehr.

«Die Langstrasse ist der frühere Rotlicht-Bezirk, das Ausländerinnen-Viertel, das Arbeiterquartier, eine der lebendigsten Strassen von Zürich», erklärt ETH-Stadtforscher Christian Schmid. Direkt daran schliesst die Europaallee an, ein gewaltiges Neubauquartier beim Bahnhof. Damit prallen hier zwei städtebauliche Konzepte aufeinander.

Blick aus der Gleis-Unterführung auf das Langstrassenquartier.
Legende: Die Nutzung im Langstrassen-Quartier ist unterschiedlich, die Quartier-Läden sind hier auch wichtige Treffpunkte. SRF / Dario Pelosi

Die Langstrasse ist ein Quartier aus dem 19. Jahrhundert mit vielen Innenhöfen und Seitenstrassen, wo man bisher relativ günstig Wohnungen und Gewerberäume hatte mieten können. «Das hat dazu geführt, dass im Quartier unterschiedliche Nutzungen entstanden sind», sagt Schmid. Diese Läden seien auch wichtige Treffpunkte für die Menschen, gerade auch in Corona-Zeiten, wo viele zu Hause arbeiten würden.

Vom Chreis-Cheib zur Google-Zentrale

Von der Langstrasse geht es Richtung Hauptbahnhof. Moderne, hohe Büro-Gebäude in beigen Schattierungen nehmen mehr und mehr Überhand: die Europaallee, einer der jüngsten Stadtteile von Zürich. Geograf und Soziologieprofessor Christian Schmid bleibt stehen. In einem Schaufenster prangt das Logo eines IT-Weltkonzerns.

Christian Schmid auf einem sonst leeren Platz in der Europa-Allee.
Legende: ETH-Soziologie-Professor und Stadtforscher Christian Schmid führt durch die beiden Quartiere im Zentrum von Zürich. SRF / Dario Pelosi

Seien früher Bürohäuser eher an den Stadträndern gebaut worden, gebe es seit bald 15 Jahren einen Trend zurück in die Stadtzentren. Bestes Beispiel dafür sei der Google-Konzern, welcher in der Europaallee die grösste Niederlassung ausserhalb der USA eingerichtet hat. «Google wollte unbedingt an den Puls der Zeit, mitten ins Zentrum. Sie möchten ihren Mitarbeiterinnen Mitarbeitern ein urbanes Leben anbieten. Diese Atmosphäre soll die Leute inspirieren.» Das sei dem Konzern auch die hohen Mietpreise wert.

Zu viele Büros machen Quartiere öde

Diese Entwicklung macht Stadtforscher Schmid nicht nur glücklich. Es zeige zwar, wie attraktiv die Innenstädte geworden seien. «Es zeigt aber auch die Ambivalenz: Wenn alle diese Nutzungen in die Zentren kommen, sind diese am Schluss langweilig und öde.» Denn die Leute arbeiteten zwar in den Büros, wohnten aber nicht in diesem neuen Quartier.

Blick auf eines der Google-Gebäude in der Europa-Allee.
Legende: Vor dem Google-Gebäude bleibt der Platz an diesem Abend fast leer. SRF / Dario Pelosi

Schmid steuert auf einen grossen Platz zu. Es ist das Herzstück des neuen Quartiers. An diesem Vorabend wirkt er tatsächlich leer, einige Menschen geniessen in den Kaffees die letzten Sonnenstrahlen. Für die Menge an Büroräumen ist es allerdings eine kleine Gruppe.

«In Zeiten von Corona sitzt man, wenn immer möglich, draussen. Wenn hier niemand sitzt, sagt das etwas aus», stellt der Soziologe fest. Menschen würden urbane Räume interessant machen. Und er gibt zu bedenken: Der eben besuchte Vorplatz des Kosmos sei sehr gut besucht.

Viele Menschen sitzen an Tischen vor dem Kosmos in der Abendsonne.
Legende: Das gut besuchte Café des Kino- und Kulturzentrums Kosmos. SRF / Dario Pelosi

Wenn auch Corona nicht der einzige Grund ist für die Leere in den Restaurants und Läden, ist es dennoch ein gewichtiges Argument. So hat allein Google sein Personal bis auf Weiteres ins Homeoffice geschickt. Wann die unzähligen Büros über den Cafés wiederbelebt werden, ist offen.

Stadtforscher Christian Schmid ist gespannt: «Das Büro ist für die Kommunikation wichtig, für den sozialen Austausch, das Entwickeln von Ideen. Für viele andere Sachen braucht man das Büro nicht.» Entsprechend geht er davon aus, dass in der Grossregion Zürich die Zahl der Büros eher abnehmen wird.

«Die Stadt braucht das Unfertige»

Trotzdem ist Schmid überzeugt, dass die Stadtzentren nicht veröden werden: «Wenn nun mehr Büro- und Ladenflächen frei werden, wird das die Urbanität erhöhen, nicht vermindern.»

Ausgestorbene Strasse in der Europa-Allee.
Legende: Wenig spannend für Kinder: Die Europa-Allee bietet kaum etwas zum Entdecken. SRF / Dario Pelosi

Denn so könnten neue Nutzungen die bisherigen ablösen. Schmid geht aber davon aus, dass bunte Quartiere wie die Langstrasse für diesen Wandel allenfalls besser gewappnet sind als steril auf dem Reissbrett designte Quartiere wie die Europaallee.

«Die Stadt braucht das Unfertige. Es braucht die Möglichkeit, dass man sich neue Räume aneignen kann. Aber das ist nur möglich, wenn man diese Räume auch verändern kann.» In solchen Brachen könne Neues entstehen. Kinder seien da ein gutes Indiz: In durchgeplanten Quartieren gebe es für sie nichts zu entdecken und sie fänden sie langweilig.

Neue Zentren am Stadtrand

Ein grosses Potenzial sieht Stadtforscher Christian Schmid am Stadtrand, wo es immer mehr Leerflächen gebe. Um diese Büro-Wüsten neu zu beleben, könne man die Lehren ziehen aus der Umnutzung der Industriebrachen in den letzten rund 30 Jahren. Das sei zwar ein langer Prozess, aber die Chancen stünden gut, dass diese Flächen Menschen mit innovativen Ideen anzögen und so neue urbane Zentren entstünden. Dadurch werde der Stadtrand nach und nach zur neuen Heimat für Start-ups und junge Familien.

Blick auf die Langstrasse. Mit im Bild ein Schild mit der Aufschrift: «Wir sind Zukunft.»
Legende: Quartiere wie die Langstrasse könnten für den Wandel besser gewappnet sein als jene, die auf dem Reissbrett designt wurden. SRF / Dario Pelosi

Corona verändert die Stadt nachhaltig, ist Schmid überzeugt. Allerdings nicht nur in den Büros. Die Pandemie habe bei vielen Menschen auch grundsätzliche Fragen aufgeworfen: «Die Bewohnerinnen und Bewohner haben plötzlich ihre Nachbarschaft entdeckt.»

Immo-Spezialist: Städte bleiben attraktiv

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Die Nutzungen von Geschäftsräumen in den Städten wird sich ändern. Allenfalls dürften auch die Mietpreise für Büros vorübergehend sinken. Für diese Analyse stützt sich Immobilien-Experte Patrick Schnorf von Wüest Partner auf eine Reihe von Untersuchungen.

Diese zeigten auch, dass die Menschen künftig näher am Arbeitsplatz wohnen und einkaufen möchten. Das mache die Zentren auch in Zukunft attraktiv. Offen sei allerdings, ob auf absehbare Zeit genügend Wohnraum geschaffen werden könne. Während die Zentren und Agglomerationen also attraktiv bleiben, dürften Investitionen in Liegenschaften in Siedlungen im Mittelland künftig einen schweren Stand haben.

Sie hätten einerseits viele Angebote in ihren Quartieren gefunden, an denen sie bisher achtlos vorbeigegangen seien. Andererseits hätten sie festgestellt, dass sie für verschiedene Bedürfnisse weit fahren müssten, was sie nicht wollten oder konnten. Sein Fazit deshalb: «Attraktive Räume und Angebote braucht es nicht nur in den Stadtzentren, sondern auch in verschiedenen Zentren in den Agglomerationen.»

Dafür brauche es nicht zwingend durchorganisierte Arealplanungen. Menschen würden Städte ausmachen – und sie würden sie auch gestalten.

Trend, 18.9.2020, 19:00 Uhr

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