Zum Inhalt springen

Stadttheater Bern Trotz Belästigungsvorwürfen: Ballett-Probeleiter arbeitet weiter

  • Der Probeleiter des Ballettensembles von Bühnen Bern soll mehrere Tänzerinnen sexuell belästigt haben.
  • Eine externe Untersuchung im Auftrag von Bühnen Bern bestätigt verbale sexuelle Vorwürfe.
  • Der Tatbestand der sexuellen, körperlichen Belästigung am Arbeitsplatz sei laut Untersuchungsleitung jedoch nicht gegeben.
  • Deshalb darf der Probeleiter weiterhin am Berner Stadttheater arbeiten, gab Intendant Florian Scholz bekannt.

Es geht um Sätze wie: «Du erregst mich mit deinem Tanz.» – «Mit solchen Brüsten solltest du ein engeres T-Shirt tragen.» – «Ich möchte dich heute wirklich anfassen.» Zudem soll es zu körperlichen Belästigungen gekommen sein – von Begrapschen und auf den Schoss nehmen ist die Rede. Mehrere ehemalige Tänzerinnen sprechen gegenüber der Wochenzeitung «Zeit» über ihre Erlebnisse mit dem Probeleiter von Bühnen Bern. Die Institution ist staatlich subventioniert.

Ballerinas
Legende: In Proben und in Pausen soll es zu Belästigungen gekommen sein. EPA/OLAF KRAAK

Man habe im Frühjahr 2021 von den Vorwürfen erfahren und direkt reagiert, sagte der Intendant von Bühnen Bern, Florian Scholz, am Donnerstag vor den Medien. Eine externe Untersuchung wurde eingeleitet und der Probeleiter vorübergehend suspendiert.

So beschreiben Tänzerinnen die Vorfälle

Box aufklappen Box zuklappen

Eine Tänzerin beschreibt im Bericht der «Zeit» den Probeleiter als «touchy», der immer wieder die körperliche Nähe zu einigen Tänzerinnen gesucht habe. So habe er ihr und anderen öfter einen Klaps auf den Po gegeben. In den Pausen habe er sich neben sie auf das Sofa gesetzt, ihr Bein auf seinen Schoss gezogen und es massiert. Erst habe sie sich wie gelähmt gefühlt und nicht getraut, sich zu wehren. Mit der Zeit habe sie das Bein weggezogen und Nein gesagt.

Manchmal habe er davon abgelassen, manchmal habe er das Bein trotzdem wieder gepackt. Weitere Tänzerinnen beschreiben der Zeit ähnliche Situationen.

Die Tänzerinnen und Tänzer hätten die Direktorin mit Briefen über ihre Erlebnisse und Beobachtungen informiert – alle 17 Tänzerinnen und Tänzer, die damals angestellt waren, hätten eine Solidaritätsbekundung unterzeichnet.

Der externe Bericht kam zum Schluss: Der Probeleiter habe Tänzerinnen verbal belästigt. Der Tatbestand der körperlichen Belästigung sei in diesem Tanzumfeld arbeitsrechtlich jedoch nicht gegeben, erklärte Untersuchungsleiterin Monika Hirzel.

Bühnen Bern stärkt Probeleiter den Rücken

Intendant Florian Scholz meint, er habe sich bei den betroffenen Tänzerinnen persönlich und in aller Demut entschuldigt. Der Probeleiter wurde darauf verwarnt, durfte aber zurückkehren – «mit konkreten Handlungsanweisungen.» Während der Probezeit seien keinerlei weitere Beschwerden eingegangen, der Probeleiter arbeitet entsprechend weiterhin bei Bühnen Bern.

Mittlerweile sei es jedoch wieder zu Fehlverhalten seitens des Probeleiters gekommen, berichtet eine Tänzerin der «Zeit». Bühnen Bern habe keine Kenntnis davon. Man habe heute mit dem Ballettensemble gesprochen, welches sein Vertrauen ausgesprochen habe. «Ich muss mir jetzt Klarheit verschaffen, ob an diesen neuerlichen Anschuldigungen etwas dran ist. Derzeit gibt es keine Anzeichen dafür», sagt Scholz. Allfällige Betroffene könnten sich bei mehreren Anlaufstellen melden.

Ballettänzerinnen
Legende: Die Balletttänzerinen von Bühnen Bern werden wieder vom betroffenen Probeleiter unterrichtet. AP Photo/Wally Santana

Die Gewerkschaft der Tänzerinnen zeigt sich empört, dass der Probeleiter weiterhin bei Bühnen Bern arbeitet. Salva Leutenegger vom Verband Szene Schweiz sagt gegenüber SRF: «Wie kann man jemanden, der Machtmissbrauch betreibt, wieder einstellen.» Wenn sich an den Strukturen nichts ändere, mache er das wieder. Das System sei ein Problem: «Wer sich wehrt, dem wird gekündigt, der Vorgesetzte bleibt und es kommen frische Leute.» Gerade junge Tänzerinnen seien den Machtpersonen ausgeliefert.

Problem mit dem System

Dass es im Umfeld von Tänzerinnen zu Belästigungen kommt, ist keine Neuigkeit, das zeigen etwa die Vorfälle an der Tanzakademie Zürich. Es geht um Beleidigungen, seelischen Missbrauch, manche seien in die Magersucht getrieben worden.

Von den Berichten aus Bern sei er deshalb nicht erstaunt, sagt Franz Kasperski, der fast 20 Jahre in der Tanz- und Theaterwelt arbeitete. Dass Übergriffe jahrelang nicht ans Licht kommen, «hat mit dem Machtsystem im Theater zu tun, mit Machtmissbrauch, mit Hoffnungen, dass alles nicht so schlimm ist und dass viele die Augen verschliessen.» Für die Betroffenen stehe viel auf dem Spiel – sie könnten ihre Anstellung verlieren. «Die Erpressbarkeit der Angestellten ist zu hoch.»

SRF 2 Kultur, 28.09.2022, 16:30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel