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Standort für Atomendlager Nördlich Lägern ist auch am besten vor Erdbeben geschützt

Das Tiefenlager für den radioaktiven Abfall aus den Schweizer AKW soll also in Nördlich Lägern (ZH) gebaut werden. Nagra-Chef Matthias Braun begründet den Entscheid.

Matthias Braun

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Der Geologe Matthias Braun ist seit Mai 2021 Geschäftsführer der Nagra (Nationale Gemeinschaft für radioaktive Abfälle). Zuvor war Braun mehr als zehn Jahre beim Erdölkonzern Shell zuständig für geologischen Aspekte bei der Rohstoffsuche.

SRF News: Nördlich Lägern sollte zuerst zurückgestellt werden, nun empfehlen Sie es als Standort. Wie kam es zu dieser Kehrtwende? 

Matthias Braun: «Kehrtwende» ist ein schwieriger Begriff: Der Entscheid kam ja über die letzten sieben Jahren zustande. Wir haben jetzt mehr Daten; es gab eine grosse, teure Bohrkampagne mit neun neuen Bohrungen. Diese Daten führten dazu, dass wir Nördlich Lägern als das absolut Beste eingeschätzt haben.

Schweizer Karte: Das Endlager Nördlich Lägern liegt zwischen den Kantonen Aargau und Zürich und der Deutschlandgrenze.
Legende: SRF

Vor sieben Jahren kam die Nagra zum Schluss, der Opalinuston liege mit 900 Metern zu tief, da gebe es bauliche Probleme. Hat sich dieser Befund geändert?

Wir hatten damals eine dünne Datenlage. Das führte zu einer Unsicherheit. Wir waren vorsichtig und wollten Nördlich Lägern zurückstellen. Die Behörden forderten eine genauere Untersuchung.

Das Gestein in Nördlich Lägern ist doppelt so fest, wie damals erwartet wurde.

Das Resultat: Das Gestein ist doppelt so fest, als damals erwartet wurde. Deshalb sind die bautechnischen Schwierigkeiten kein standortkritischer Faktor mehr.

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Könnten noch detailliertere Abklärungen erneut zu einem neuen Ergebnis bei der Standortsuche führen?

Nein. Es ist so: Wenn man wenig Daten hat, ist jeder Datenpunkt, den man dazugewinnt, ein grosser Erkenntnisgewinn. Wenn man aber schon viele Daten hat, wird der Gewinn immer kleiner. Das ist, wie wenn sie in der Fussballmeisterschaft nach drei Spielen den Meister bestimmen wollen, wir sind aber jetzt zwei Runden vor Schluss, und unser Meister hat zehn Punkte Vorsprung.

«Es ist der sicherste Ort», sagt die Nagra, die beste Qualität des Gesteins. Was heisst das?

Im Opalinuston kann man Spuren von Wasser finden. Dieses Wasser ist sehr alt, uralt. In Nördlich Lägern fanden wir das älteste Wasser. Es ist noch das alte Meerwasser. Das heisst, dass die Isolation dort am besten ist.

Das Lager muss vor Flüssen und Gletschern geschützt sein.

Das zweite Argument ist die Stabilität. Das Lager muss geschützt sein vor Oberflächenerosion – vor Flüssen oder Gletschern. In Nördlich Lägern ist das Lager am tiefsten, also am besten geschützt. Zudem haben wir dort auch die härtesten Gesteinsschichten unter der Oberfläche.

Im Untergrund ist es nicht einfach ruhig. Am Samstag beispielsweise hat in der Schweiz die Erde gebebt. Ist dies keine Gefahr?

Die Erde bebte im Rheingraben. Der Rheingraben ist eine Zone, wo sich der Kontinent langsam trennt. Wir haben auch eine solche Zone, das ist der Hegau-Bodenseegraben. Er ist ein weiterer Grund, weshalb Nördlich Lägern besser ist als Zürich Nordost: Auch der Hegau-Bodenseegraben ist eine Region, wo sich die Erde auseinanderzieht. Man hat da einen Riss, der sich nicht wieder schliesst.

Ist der Opalinuston in Nördlich Lägern auch am geeignetsten?

Der Opalinuston ist in allen Standorten gleich gut. Er hat drei wichtige Eigenschaften: Er ist sehr dicht. Zudem kann er radioaktive Isotope binden, indem sie wie von einem Magnet angesogen werden. Das hat mit der elektrischen Ladung zu tun.

Opalinuston kann sich – sollte er einmal brechen – quasi selbst heilen.

Ausserdem kann sich der Ton, sollte er einmal brechen, wieder selbst heilen. Er besteht aus Mineralien vergleichbar wie Katzenstreu – wenn Wasser hinzukommt, verschliessen sich die Risse wieder.

In Nördlich Lägern war bisher der Widerstand gegen ein Tiefenlager am geringsten – ist der Standortentscheid also auch ein politischer Entscheid?

Es ist ein rein geologischer, wissenschaftlicher Entscheid. Alle anderen Faktoren haben keinen Einfluss auf die Langzeitsicherheit.

Das Gespräch führte Karoline Arn.

SRF 4 News Tagesgespräch, 12.09.2022, 12:30 Uhr ; 

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