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Steigende Gesundheitskosten Santésuisse: «Es braucht 10 Prozent höhere Krankenkassenprämien»

Eine Erhöhung der Krankenkassenprämien werde nötig angesichts steigender Kosten in der obligatorischen Krankenpflegeversicherung.

    Mit einem so starken Anstieg der Gesundheitskosten habe sie nicht gerechnet, sagt Verena Nold, Direktorin des Krankenkassendachverbandes Santésuisse: «Wir sind sehr erschrocken, als wir die Kostenentwicklung vom letzten Jahr analysiert haben. Neueste Zahlen zeigen, dass die Kosten im letzten Jahr pro versicherte Person um 6.4 Prozent gestiegen sind.»

    6.4 Prozent – das ist deutlich mehr als die Berechnung, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) vorgelegt hat. Laut BAG stiegen die Gesundheitskosten im letzten Jahr pro Kopf um 4.5 Prozent.

    Santésuisse begründet den Unterschied damit, dass die BAG-Zahlen auf den eingegangenen Rechnungen der Patientinnen und Patienten beruhe. Da würden einige noch später nachgesendet. Santésuisse verfüge hingegen über die Abrechnung der eigentlichen Behandlungskosten aus dem letzten Jahr.

Hohe Kosten für ambulante Behandlungen und Medikamente

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Vor allem bei den Kosten für ambulante Behandlungen (Abgeltung via Tarmed) und Medikamente ortet Santésuisse das Problem. Bei den Tarmed-Spitaltarifen stiegen gemäss ihren Berechnungen die Kosten 2021 um rund 10 Prozent, bei den Arzttarifen um rund 7 Prozent und bei den Medikamenten um fast 6 Prozent, wie Santésuisse-Ökonom Christoph Kilchenmann ausführte.

Die Kosten, die über den Einzelleistungstarif abgerechnet worden seien, hätten sich auf 12 Milliarden Franken belaufen. Das seien rund 9 Prozent mehr als im Vorjahr. Zum starken Kostenwachstum hätten auch Nachholeffekte im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie beigetragen. Der ambulante Sektor sei inzwischen für rund ein Drittel der Kosten im Gesundheitswesen verantwortlich.

Die Medikamentenkosten sind laut Kilchenmann mit einem jährlichen Wachstum zwischen vier und sieben Prozent in den vergangenen zehn Jahren ein weiterer starker Kostentreiber. (sda)

Ob BAG- oder Santésuisse-Zahlen, klar ist: Letztes Jahr gab es mehr Behandlungen. Viele Operationen wurden nachgeholt, die im Corona-Jahr nicht gemacht wurden. «Und das wird natürlich Auswirkungen auf die Prämien im nächsten Jahr haben. Sie werden massiv steigen», sagt Verena Nold von Santésuisse.

Wie massiv, hänge vom Wohnkanton, aber auch von den einzelnen Krankenkassen ab. «Wir gehen auch davon aus, dass die Prämien im Schnitt sogar bis zehn Prozent steigen müssten. Es kommt aber auch darauf an, wo man ist. Je nach Kanton gibt es grosse Unterschiede. Es kann sogar Kantone geben, die höhere Prämienerhöhungen haben als zehn Prozent.»

Santésuisse-Direktorin Verena Nold
Legende: Santésuisse-Direktorin Verena Nold erwartet stark steigende Krankenkassenprämien. Archivbild/KEYSTONE/Anthony Anex

Dass die Prämien steigen werden, bezweifelt auch Gesundheitsökonom Simon Wieser nicht. Er leitet das Institut für Gesundheitsökonomie der ZHAW in Winterthur. Trotzdem interpretiert er die Gesundheitszahlen weniger pessimistisch als Santésuisse.

«Allgemein ist interessant, dass die Gesundheitsausgaben in den letzten vier Jahren weniger stark gestiegen sind als in früheren Jahren – also auch schon vor Corona. Im Durchschnitt unter vier Prozent. Und das ist doch deutlich weniger als in früheren Jahren», sagt Wieser.

Politische Massnahmen sind nötig

Sowohl Nold von Santésuisse als auch Gesundheitsökonom Wieser sind sich jedoch einig, dass es Massnahmen braucht, um die Gesundheitskosten in den Griff zu kriegen. Zum Beispiel politische Korrekturen bei den hohen Medikamentenpreisen.

Beschränkung der Anzahl Arztpraxen

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Bei den ambulanten Leistungen müsse der Tarmed durch ambulante Pauschalen mit neuen Einzelleistungstarifen ersetzt werden. «Matchentscheidend» ist für Verena Nold von Santésuisse zudem eine Beschränkung der Zahl der frei praktizierenden Ärztinnen und Ärzte. Bei der Ärztezahl stehe die Schweiz im internationalen Vergleich auf einem der vordersten Ränge. Pro Arztpraxis entstünden rund 500'000 Franken an Kosten. Und schliesslich müssen laut Nold wirkungslose Therapien konsequent aus dem Leistungskatalog der obligatorischen Krankenpflegeversicherung gestrichen werden. (sda)

Im letzten Jahr haben die Krankenkassen ihre finanziellen Reserven angezapft, um die Bevölkerung vor einem Prämienanstieg zu bewahren. Der Bundesrat wünscht, dass die Krankenkassen auch weiterhin dafür ihre Reserven einsetzen.

Santésuisse-Direktorin Nold winkt ab. Nachdem man das im letzten Jahr gemacht hatte und wegen der ungünstigen Entwicklung an den Finanzmärkten hätten sich die Reserven drastisch reduziert.

Gesundheitsthemen in der Session

Ende Monat nun gibt das BAG die Krankenkassenprämien fürs nächste Jahr bekannt. Und in der Herbstsession, die nächste Woche beginnt, beraten die Parlamentarierinnen und Parlamentarier verschiedenste Anliegen aus dem Gesundheitsbereich. Ob sie den Appellen von Santésuisse folgen, wird sich also bald zeigen.

Rendez-vous, 06.09.2022, 12:30 Uhr

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