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Korporationen: Warum diese alte Organisationsform eine Zukunft hat
Aus Regionaljournal Zentralschweiz vom 04.10.2021. Bild: Keystone
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Studie zu Korporationen Alte Organisationen mit viel Einfluss

Von aussen mögen Korporationen altertümlich wirken – doch mit ihrem immensen Landbesitz sind sie gewichtige Player.

Eine Korporation – das Wort klingt wie aus der Zeit gefallen. Gerade in städtischen Gebieten wissen heute nur noch die Wenigsten, dass es Koporationen gibt und wozu sie gut sind. Das liege in erster Linie am wirtschaftlichen Wandel, den die Schweiz in den vergangenen Jahrzehnten erlebt hat, sagt Rahel Wunderli, Historikerin an der Universität Bern: «Die Land- und Forstwirtschaft ist in der Öffentlichkeit nicht mehr so präsent wie früher, darum werden auch Korporationen vielfach nicht mehr wahrgenommen.»

Doch die Korporationen sind immer noch da, in praktisch allen Kantonen – und nicht selten sind sie mächtige Institutionen.

Korporationen: Eine Organisationsform mit Wurzeln im Mittelalter

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Korporationen sind aus der gemeinschaftlichen Nutzung von Wäldern, Gewässern, Allmenden und Alpweiden entstanden. Bauern begannen im Mittelalter im Alpenraum, herrschaftsloses Land allmählich genossenschaftlich zu nutzen. Diese gemeinsame Bewirtschaftung und Verwaltung machte Regeln und Nutzungsvorschriften notwendig – ab dem Spätmittelalter bildeten sich daher Korporationen, in denen die wichtigen Fragen diskutiert und gemeinsam entschieden wurden.

Von Wäldern bis zu Bibliotheken

Die Korporationen entwickelten sich regional unterschiedlich. Während sie sich in manchen Gegenden auf die gemeinschaftliche Nutzung landwirtschaftlicher Flächen beschränkten, übernahmen andere zunehmend staatliche Aufgaben, indem sie als Bürgergemeinden die Verteilung lebenswichtiger Güter garantierten oder – etwa mit Bibliotheken – auf kulturellem Gebiet aktiv wurden.

Konkurrenz durch den modernen Staat

Unter Druck gerieten diese vorstaatlichen Strukturen mit der Gründung des Schweizerischen Bundesstaats von 1848, der alle Schweizer vor dem Gesetz gleichstellte. Viele Korporationen versuchten, ihre Güter dem öffentlichen Zugriff zu entziehen und schränkten den Kreis der Nutzniesser auf die Alteingesessenen ein, etwa indem das Korporationsbürgerrecht nur noch geerbt werden konnte.

Heute gelten Korporationen in den meisten Kantonen als Körperschaften des öffentlichen Rechts und geniessen weitgehende Autonomie. Die meisten Kantone regeln ihren Aufgabenbereich in der Kantonsverfassung. Manche Korporationen und Bürgergemeinden sind offen für Neumitglieder und werben gar darum, andere sind für Aussenstehende geschlossen.

Dies zeigen Historikerin Wunderli und ihre Mitautorinnen und Mitautoren im Buch «Balancing the Commons in Switzerland» auf. Sie haben dafür Korporationen aus den Kantonen Uri, Graubünden, Obwalden, Wallis und Tessin genauer unter die Lupe genommen.

Korporationen besitzen riesige Landflächen

Korporationen gehören zu den grössten Landeigentümerinnen der Schweiz. Imposant ist etwa die Korporation Uri: Mit einem Grundbesitz von 754 Quadratkilometern gehören ihr rund 70 Prozent der Urner Grundfläche.

Kühe an einem Bergsee in den Urner Alpen
Legende: Eine von unzähligen Alpen der Korporation Uri: Die Alp Seewlisee. Korporation Uri

Und: Sie war früh anpassungsfähig genug, um nicht nur die Nutzung von Wald und Weiden zu organisieren, sondern mit den korporationseigenen Bächen und Flüssen auch in die Wasserkraft einzusteigen – was sich zu einem einträglichen Geschäft entwickelt hat.

Nachhaltige Nutzung auf die Fahne geschrieben

Kurt Schuler, Präsident der Korporation Uri, hält es zwar für übertrieben, seiner Institution eine grosse Macht zuzuschreiben. Die Korporation sei eine Einrichtung wie jede andere auch, sagt er. Statt das Schul- oder das Sozialwesen organisiere sie einfach die Nutzung, die Pflege und den Unterhalt der Wälder und Weiden.

Aber für ihn ist klar: Korporationen sind alles andere als aus der Zeit gefallen. Sie werden gar an Bedeutung gewinnen, ist er überzeugt: «Korporationen verwalten natürliche Ressourcen, wie eben Wälder – und es ist ein gesellschaftliches Bedürfnis, dass diese Ressourcen nachhaltig genutzt werden», sagt er.

Porträtaufnahme mit Kurt Schuler, Präsidend Korporation Uri, und Rahel Wunderli, Historikerin
Legende: Der Korporationspräsident und die Historikerin: Kurt Schuler und Rahel Wunderli, Co-Autorin einer neuen Studie über Korporationen. SRF

Das gelte ebenfalls für das Wasser und die Energie, die daraus gewonnen werde. «Korporationen garantieren, dass nicht plötzlich eine Einzelperson oder eine Firma kommt und der Allgemeinheit Gemeingüter streitig macht», so Schuler.

Korporationen verhindern, dass plötzlich eine Firma der Allgemeinheit Gemeingüter streitig macht.
Autor: Kurt Schuler Präsident Korporation Uri

Trotzdem: Historikerin Rahel Wunderli, die mehrere Korporationen in der Schweiz untersucht hat, sieht Herausforderungen auf diese ur-schweizerische Organisationsform zukommen.

Politische Stellung ist umstritten

«Wer soviel Land besitzt, hat definitiv Einfluss, wenn er in Gesprächen gegenüber Gemeinden oder dem Kanton auftritt», sagt sie. Allerdings sei die politische Stellung der Korporationen nicht ganz klar, so Wunderli. «Es ist heute immer weniger akzeptiert, dass jemand mitbestimmen kann, was mit einem Stück Land geschieht, nur weil er oder sie per Geburt Bürger oder Bürgerin einer Kooperation wurde – und jemand ohne richtige Verwandtschaft kann halt nicht mitreden.»

Versammlung vor dem Zeughaus in Altdorf
Legende: Mitreden kann nur, wer das Bürgerrecht ererbt hat: Korporationsgemeinde der Korporation Uri (Aufnahme von 2019) Korporation Uri

Dennoch betrachtet Rahel Wunderli die Korporationen als spannendes «Laboratorium der Nachhaltigkeit». Sie sässen auf Ressourcen, die je nach Zeitalter unterschiedlich gefragt seien, und müssten dabei eine Balance schaffen: «Sie müssen einerseits die Nachfrage befriedigen können – und dass andererseits dafür schauen, dass Gemeinschaft, der diese Ressourcen gehören, nicht im Streit auseinanderbricht.»

Korporationen wecken Interesse bei Forschern

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Legende: Elinor Ostrom (1933-2012): Die Politologin forschte zur gemeinschaftlichen Nutzung natürlicher Ressourcen, unter anderem im Wallis – und bekam dafür 2009 den Wirtschafts-Nobelpreis.

Organisationen, die ähnlich wie Korporationen in der Schweiz funktionieren, gibt es auch in anderen Ländern. Die gemeinschaftliche Nutzung natürlicher Ressourcen in Schweizer Bergregionen weckt das Interesse der internationalen Forschung aber besonders. 1990 veröffentlichte die US-amerikanische Politoligin Elinor Ostrom ihr Werk «Governing the Commons», bei dem sie sich auf Untersuchungen zu den Allmenden im Walliser Bergdorf Törbel bezog.

Der Schluss, zu dem sie kam: Sind bestimmte Bedingungen erfüllt, kann gemeinschaftliches Eigentum die natürlichen Ressourcen besser bewirtschaften als privates oder staatliches Eigentum. Elinor Ostrom erhielt für ihre Arbeit 2009 den Nobelpreis für Wirtschaft – als erste und bislang einzige Frau.

Regionaljournal Zentralschweiz, 03.10.2021, 17:30 Uhr;

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