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Sucht im Alter Dieses Wohnheim begleitet ältere Suchtkranke bis ans Lebensende

Einen würdigen Lebensabend im Altersheim trotz Suchtvergangenheit – dafür gibt es nur wenige Spezialinstitutionen.

Der Platzspitz in Zürich, das Bienenhüsli in St. Gallen – in den 1980er Jahren bildeten sich nach und nach offene Drogenszenen. Aufgrund des öffentlichen Drucks wurde der Platzspitz 1992 geschlossen. Die Jugend von damals aber ist älter geworden. Suchtkranken im Rentenalter fehlt hierzulande oft eine entsprechende Unterstützung, während jüngeren Suchtkranken eine Vielfalt an Angeboten zur Verfügung steht.

Leute «können anstrengend sein»

In der Stadt St. Gallen gibt es durch die Gemeinnützige und Hilfs-Gesellschaft (GHG) ein Spezialwohnheim. Im Haus Röteli am Rosenberg wohnen 78 psychisch Kranke, Suchtkranke, Abhängige oder Traumatisierte. Alle sind sie über 50 Jahre alt.

Eine Bewohnerin ist Maria Jöhl. Sie ist 61 Jahre alt und lebt seit sieben Jahren in der Institution, seit 2020 im Neubau im Haus Röteli. Ihr gefällt es, die Zimmer seien schön, das Haus nahe der Innenstadt. Aber: «Von den Leuten her kann es anstrengend sein, weil die meisten vorbelastet sind.»

Schweizweit wenige Institutionen für suchtkranke Alte

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Suchtkranke Alte unterscheiden sich in ihren Bedürfnissen oft stark von nicht betroffenen. Ältere Menschen mit Suchtproblemen haben oft einen komplexeren Hilfebedarf, auch, weil der körperliche Zerfall und die Alterung aufgrund der Drogenvergangenheit früher eintritt.

Das Angebot wird differenziert: Es gibt in der Schweiz eine Handvoll spezialisierte Einrichtungen wie die GHG am Rosenberg in St. Gallen. Daneben gibt es Institutionen, die auch Suchtkranke in die bestehenden Alters- und Pflegeheimstrukturen integrieren. Die Pflegimuri im Kanton Aargau etwa nimmt auch alkoholkranke Menschen auf.

Eine pragmatische Kooperation zwischen Suchthilfe und medizinischer Altersversorgung gibt es in der Schweiz erst vereinzelt. Ein Beispiel ist die Zusammenarbeit zwischen der Kontrollierten Drogenabgabe Bern und dem Wohn- und Pflegeheim Solina in Spiez respektive Steffisburg (BE). So wird im Wohnheim eine kontrollierte Heroinabgabe gewährleistet.

Die Leiterin des Hauses, Anita Eichmann, weiss, wovon Maria Jöhl spricht. Alle bringen ihre Geschichte mit. «Wir haben nur Leute, die in sogenannt ‹normalen› Alters- und Pflegeheimen nicht reinpassen, weil sie anders sind. Sie sind lauter, auffälliger oder sehen anders aus und passen so nicht ins Schema», sagt Eichmann.

Das Haus Röteli in St. Gallen ist gross, ein moderner Betonbau mit sechs Etagen. Es hat ein Restaurant, einen Coiffeursalon, Therapieräume, eine grosse Terrasse und vieles mehr.

Das Spezialwohnheim «Haus Röteli» in St. Gallen

Im Zentrum der Philosophie des Hauses stehen nicht die Lebensgeschichten und Probleme der Bewohnerinnen und Bewohner. Wichtig ist Selbstbestimmung im Alltag, was zum Beispiel auch bedeutet, die Bewohnerinnen und Bewohner dürfen aufstehen und essen, wann und wo sie wollen. «Die einen schlafen bis am Mittag, die anderen stehen um 7 Uhr auf und nehmen an unseren Angeboten teil», sagt Anita Eichmann.

Auch für Institutsleiter Sebastian Hirblinger ist die Freiheit sehr wichtig: «Die Individualität und die Bedürfnisse stehen derart im Vordergrund, dass wir versuchen, wertfrei damit umzugehen. Ob jemand zwei oder vier Liter Alkohol trinkt, ob jemand Begleitung braucht wegen Angststörungen – das stellen wir nicht in den Vordergrund. Wir begleiten und unterstützen.»

Viel Aufwand wegen Rauchverbot im Zimmer

Diese Herangehensweise ist eine Besonderheit des Spezialwohnheims. Weil viele Bewohnerinnen und Bewohner süchtig sind, gibt es verschiedene Suchtmittel. Von Alkohol bis Methadon. Es werden Abmachungen getroffen, wie viel Bier oder Wein jemand pro Tag trinken darf.

Die einzige Auflage ist das Rauchverbot in den Zimmern. «Damit kämpfen wir immer wieder. Wir haben ein Fumoir, eine Terrasse und Raucherräume. Das fordert uns im Alltag», sagt Hausleiterin Anita Eichmann. Dabei gehe es um Schutz vor Selbstgefährdung und um Brandschutz, erklärt sie.

Selbständigkeit statt Schubladisierung

Bewohnerin Maria Jöhl benutzt das Fumoir. Seit sie vor über 30 Jahren das erste Mal in eine psychiatrische Klinik gekommen sei, sei sie immer in Schubladen gesteckt und darum auch unterschätzt worden: «Nach dem ersten Klinikaufenthalt kriegt man sofort den Stempel und wird nur danach eingeschätzt.»

Nach dem ersten Klinikaufenthalt kriegt man sofort den Stempel.
Autor: Maria Jöhl Bewohnerin des Spezialwohnheims in St. Gallen

Das wird im Haus Röteli geschätzt. Der Stempel steht nicht im Mittelpunkt, sondern der Mensch dahinter, der so einen möglichst selbständigen Lebensabend verbringen kann.

Regionaljournal Ostschweiz, 05.04.2023, 17:30 Uhr ; 

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