Die Romandie ist politisch ein Sonderfall: Stärkste Partei ist die SP, die in der Deutschschweiz über zehn Prozentpunkte hinter der SVP liegt. Und auch auf der bürgerlichen Seite waren die Kräfteverhältnisse lange anders als ennet dem Röstigraben.
Die FDP war lange der Platzhirsch im Mitte-rechts-Lager. Das hat bei den Wahlen 2023 geändert. Neu hat die SVP zwölf Nationalratssitze in der Romandie, die FDP noch deren neun. Erstmals liegt die SVP bei den Parteienstärken in allen französischsprachigen Gemeinden der Schweiz vorne. Sie kommt auf 19.7 Prozent. Der FDP gaben nur noch 18.5 aller Wählerinnen und Wähler ihre Stimme, wie Berechnungen von Peter Moser, dem ehemaligen Chefanalytiker des statistischen Amtes des Kantons Zürich, zeigen. Nicht darin einberechnet sind die Stimmen der Auslandschweizer.
«Die Neinsager»
Das ist zwar eine Momentaufnahme der nationalen Wahlen 2023, in den Kantonsparlamenten ist die FDP in der Romandie stärker. Dennoch ist der Erfolg für die SVP beachtlich. Sie hatte nach der EWR-Abstimmung 1992 einen schweren Stand in der Westschweiz. Diese hatte geschlossen für den Beitritt zum Vorläufer der heutigen EU gestimmt. Wegen dieser Abstimmung werden die Deutschschweizer in der welschen Satire noch heute immer wieder die «Neinsager» genannt.
Trotz dieser tiefen Spuren hat es die SVP nun geschafft, die stärkste Kraft im bürgerlichen Lager zu werden. «Eine Enttäuschung» sei das für die FDP gewesen, sagte der Waadtländer FDP-Nationalrat Olivier Feller im Tagesgespräch. «In den letzten 30 Jahren hat sich die Situation schon verändert», sagt Feller im Hinblick auf die EU-Frage. «Die Euphorie spüre ich heute nicht mehr».
Auch die Themen haben eher der SVP in die Hände gespielt. «Die Migration war ein grosses Thema für die Menschen», sagt der frisch gewählte SVP-Nationalrat Thomas Stettler. Die Konflikte hätten dieses Thema in den Vordergrund gerückt. Gleich drei Bauern haben in der Romandie für die SVP den Sprung in den Nationalrat geschafft. «Als Bauer kennen mich die Leute», sagt Stettler. Sie wüssten, wo er im Jura wohne, wie sie ihn erreichen könnten. Das sei ein Riesenvorteil.
Der Faktor Parteipräsidenten
Bei der FDP fällt hingegen auf, dass sie in den Kantonen, in denen sie eine bürgerliche Allianz mit der SVP (und teilweise anderen Parteien) eingegangen ist, nicht zulegen konnte. Immerhin hat die FDP Ständeratssitze in der Waadt und Freiburg mit Unterstützung der SVP verteidigen können. «Die Allianzen mit der SVP haben uns nicht geschadet in der Westschweiz», sagt FDP-Nationalrat Olivier Feller. Nach dem Scheitern von Gregor Rutz bei den Zürcher Ständeratswahlen seien die Allianzen mit der SVP in der FDP aber schon ein Thema, räumt Feller ein.
Ein Faktor sind auch die Parteipräsidenten. Der Tessiner Marco Chiesa ist als SVP-Präsident in der Romandie sehr präsent, gibt auch gerne Interviews auf Französisch. Das sei «sehr, sehr wichtig», sagt SVP-Nationalrat Thomas Stettler. Weniger zu hören ist in der Westschweiz FDP-Präsident Thierry Burkart. Auch das müsse diskutiert werden, sagt Feller: ob es eine oder zwei Figuren der FDP auf der nationalen Bühne brauche, die in der Westschweiz präsenter sein könnten.
Die FDP kann sich damit trösten, dass sie in den Kantonsparlamenten und Kantonsregierungen deutlich stärker vertreten ist als die SVP. In der Westschweizer Politik ändert deshalb nicht alles.