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Tantrasessions im Rausch? Kritik am Vorgehen der Behörden gegen Kirschblütengemeinschaft

Knapp fünf Jahre ermittelte die Staatsanwaltschaft, doch die Beweismittel reichten nicht aus für den Nachweis strafbarer Handlungen. Jetzt wird Kritik laut am Vorgehen der Untersuchungsbehörde. Doch diese weist die Kritik zurück.

Zwei ehemalige Teilnehmerinnen von Seminaren der Kirschblütengemeinschaft in Lüsslingen-Nennigkofen SO wandten sich 2014 an die Zürcher Fachstelle für Sektenfragen Infosekta. Der Vorwurf: Der inzwischen verstorbene Samuel Widmer und Begründer der Kirschblütengemeinschaft sowie weitere Leiterinnen von Seminaren würden regelmässig LSD und MDMA (Ecstasy) abgeben.

Im Februar 2015 reichte Infosekta Anzeige gegen den Arzt und Psychiater Samuel Widmer ein. In der Anzeige, die SRF vorliegt, spricht Infosekta zudem von «extremer (sexueller) Nähe innerhalb von Tantragruppen, welche durch Drogeneinfluss getriggert werde».

Mehrere Fälle

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Im März 2015 folgte eine verdeckte Reportage der ARD. Ein Journalist nahm mit versteckter Kamera an einem Seminar teil und schmuggelte laut seinen Angaben die für ihn bestimmten Tabletten aus den Räumlichkeiten. Die Laboranalyse im TV-Beitrag zeigte: bei den Substanzen handelte es sich MDMA (Ecstasy).

Wie die Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft zeigen, folgte im Juni 2015 ein weiterer Vorfall: Ein 9-jähriger Junge wurde von seinem Vater mit Vergiftungssymptomen in das Bürgerspital Solothurn eingeliefert. Dort wurde festgestellt, dass der Knabe an einer LSD-Vergiftung leidet. Laut der Staatsanwaltschaft stammen die Eltern «aus dem Umfeld der Kirschblütengemeinschaft».

Die Anzeige von Infosekta, die verdeckte Reportage wie auch der Fall des 9-jährigen Knaben führten zu umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft. Doch der Verdacht auf strafbare Handlungen liess sich nicht erhärten. In einem Fall ist die Untersuchung noch nicht abgeschlossen.

Susanne Schaaf ist Geschäftsleiterin von Infosekta. Sie kann nicht nachvollziehen, dass alle Verfahren bis auf eines eingestellt wurden: «Die Behörden haben die jahrelange Praxis der Kirschblütengemeinschaft und die Vorfälle, die auch dokumentiert sind, quasi auf die Seite geschoben.»

Die Kirschblütengemeinschaft

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Ab 1993 entstand um Samuel und Danièle Widmer Nicolet herum eine Lebens- und Forschungsgemeinschaft mit dem Namen Kirschblütengemeinschaft.

In der Solothurner Gemeinde Lüsslingen-Nennigkofen leben laut Angaben der Gemeinschaft rund 200 Personen, die sich zur Kirschblütengemeinschaft zählen. Dies ist rund ein Fünftel der Dorfbevölkerung. Im Dorf ist die Gemeinschaft nicht unumstritten. In der Gemeinschaft gehe es laut eigenen Angaben um Selbsterkenntnis zu den Fragen, wie jeder einzelne Mensch wirklich leben möchte und darum, «das Thema Sex, das für viele psychische Krankheiten verantwortlich ist, zu thematisieren und zu enttabuisieren, zum Beispiel mit der Tantrischen Therapie.»

Auch der Solothurner SVP-Kantonsrat und Anwalt Rémy Wyssmann übt Kritik: «Wenn man die Anzeige von Infosekta liest, fällt auf, dass einerseits vom Konsum illegaler Substanzen die Rede ist, andererseits von extremer sexueller Nähe getriggert durch Drogeneinfluss.»

Auch in den Medien sei über sexuelle Übergriffe im Drogenrausch berichtet worden. Für den SVP-Politiker stelle sich die Frage, warum nicht beispielsweise auch wegen des Straftatbestands der Schändung oder anderer möglicher Tatbestände zum Schutz der sexuellen Integrität ermittelt wurde.

Der Solothurner Oberstaatsanwalt Hansjürg Brodbeck weist alle Vorwürfe zurück: «Wir führten in sechs Liegenschaften Hausdurchsuchungen durch, nahmen mehrere Personen fest, führten eine Vielzahl an Befragungen durch und werteten Mobiltelefone aus. Die Untersuchungsakten füllen acht Bundesordner, wir haben sehr umfangreich ermittelt.»

Auch den Vorwurf, dass wegen Sexualdelikten hätte ermittelt werden müssen, entkräftet Brodbeck: «Für solche Untersuchungen gab es nie einen auf Fakten beruhenden genügenden Tatverdacht.»

Daniele Nicolet ist die Witwe von Samuel Widmer. Auch gegen sie wurde wegen der Abgabe illegaler Substanzen ermittelt und das Verfahren schliesslich eingestellt. «Wir sind froh, dass die Ermittlungen so umfangreich waren und damit aufgezeigt werden konnte, dass wir keine Therapieformen mit illegalen Substanzen durchführen, sondern nur mit legalen.»

Doch für Nicolet ist klar, dass durch die Einstellung der Verfahren die Skepsis gegenüber der Kirschblütengemeinschaft bleiben wird: «Wir leben auf eine Art, die vielen Angst macht und Neid auslöst. Solange es uns gibt, wird es immer Personen geben, die etwas gegen uns haben.»

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