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Terror, Spionage, Extremismus Der Nachrichtendienst soll mehr Kompetenzen erhalten

Der Nachrichtendienst des Bundes soll schärfere Instrumente bekommen, um den gegenwärtigen Bedrohungen Herr zu werden.

Wer oder was könnte die Sicherheit der Schweiz bedrohen? Zurzeit denkt man bei dieser Frage in erster Linie an die russische Invasion in der Ukraine. Aber der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) muss auch andere Bedrohungen im Auge behalten. Stichwort: Gewalttätige Extremisten. Deshalb soll der Nachrichtendienst neue Kompetenzen erhalten. Wie die genau aussehen sollen, darüber hat Verteidigungsministerin Viola Amherd vor den Medien in Bern informiert.

Die Überarbeitung des Nachrichtendienstgesetzes tönt nach einer trockenen, technischen Materie. Doch die Arbeit des Geheimdienstes gehe alle an, betonte Bundesrätin Viola Amherd.

Die Analyse der Bedrohungslage und die Einschätzung, welche Folgen dieser Krieg und andere Bedrohungen für die Schweiz haben, ist die Kernaufgabe des NDB.
Autor: Viola Amherd Verteidigungsministerin

Nicht nur im aktuellen Krieg in der Ukraine spiele der NDB eine zentrale Rolle für die Sicherheit der Bevölkerung: «Er informiert den Bundesrat und weitere Gremien laufend über die aktuelle Lage in der Ukraine. Die Analyse der Bedrohungslage und die Einschätzung, welche Folgen dieser Krieg und andere Bedrohungen für die Schweiz haben, ist die Kernaufgabe des NDB.»

Damit der NDB Bedrohungen noch früher erkennen und verhindern könne, werde das Gesetz angepasst und modernisiert. Sorgen machen der Verteidigungsministerin gewaltbereite Links- und Rechtsextreme. Diese würden in der Schweiz immer aktiver. Ihre Telefongespräche abhören oder in ihre Computer darf der NDB bis jetzt nicht. Nun soll er diese Massnahmen auch bei gewalttätigen Extremisten anwenden können.

Finanzflüsse analysieren

Eine weitere Neuerung betrifft finanzielle Transaktionen, zum Beispiel bei der Finanzierung von Terrorismus oder Spionagenetzwerken. Auch hier waren dem NDB bisher die Hände gebunden, betonte Amherd: «Das schränkt die Aufklärungsmöglichkeiten – beispielsweise in der Terror- und Spionageabwehr – wesentlich ein.»

Neu könnte der Geheimdienst bei schweren Bedrohungen, also bei der Gefahr von Spionage oder einem terroristischen Anschlag, Auskünfte zu Finanzflüssen verlangen, zum Beispiel bei Banken. Dort soll der NDB künftig etwa Bankauszüge einfordern können. Für all diese Massnahmen braucht der Nachrichtendienst jedoch zuerst eine Genehmigung durch das Bundesverwaltungsgericht und die VBS-Chefin.

Hauptfokus bleibt Bedrohung durch Spionage

Amherd stellte auch den neuen Geheimdienstchef vor. Christian Dussey ist seit gut einem Monat an der Arbeit. Sein Weg führte den Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler von Genf über Teheran nach Bern. Dussey war Schweizer Botschafter in Iran und früher Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik.

Dussey mit Amherd
Legende: Dussey (links neben Bundesrätin Amherd) steht dem NDB seit wenigen Wochen vor. Keystone

Beim NDB könne man sich nicht nur auf die aktuelle Krise in der Ukraine konzentrieren, sagte Dussey, man müsse agil bleiben. Ein Hauptfokus des NDB sei die Bedrohung durch Spionage. Ein angepasstes Nachrichtendienstgesetz sei dabei enorm wichtig, so der neue Geheimdienstchef: «Mit der vorgeschlagenen Änderungen soll der Vollzug des Nachrichtendienstgesetzes verbessert werden, was sich positiv auf die Sicherheitslage der Schweiz auswirken wird.»

Die revidierte Gesetzesvorlage geht nun in die Vernehmlassung, Kantone, Parteien und Verbände werden sich dazu äussern können. Sie kann frühestens 2026 in Kraft treten.

Die Software des Nachrichtendienstes anpassen

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Christian Dussey, neuer Geheimdienstchef der Schweiz.
Legende: Christian Dussey, neuer Geheimdienstchef der Schweiz. Keystone

Einschätzung von SRF-Inlandredaktor Tobias Gasser: «Der Krieg in der Ukraine hat diese Gesetzrevision nicht unmittelbar angestossen. Es sind Punkte und Veränderungsvorschläge, die seit Längerem diskutiert werden und zum Teil auch von den politischen Aufsichtsgremien vorgebracht wurden. So etwa die verbesserte Informationsbeschaffung beim Gewaltextremismus. Das hat man immer wieder diskutiert und wieder verworfen. Man befürchtete, dass man eine Art Verfassungspolizei oder eine politische Polizei schaffen würde. Nun sind VBS und der Nachrichtendienst zum Schluss gekommen, dass es hier mehr Mittel für die Aufklärung braucht. Als Beispiele nennen sie die rechtsextremen in Anschläge im deutschen Hanau (2020) oder im neuseeländischen Christchurch (2019). Solche Taten wolle man präventiv verhindern können, so die Argumentation.

Der Nachrichtendienst ist zuletzt in die Negativschlagzeilen geraten: Mobbing, schlechte Stimmung, Sexismus. Der neue NDB-Chef Dussey will diese Probleme angehen, indem alle Mitarbeitenden Inklusionskurse besuchen müssen. Sie sollen also lernen, besser aufeinander Rücksicht zu nehmen. Es sollen auch Ethikkurse angeboten werden. Auf die Frage, was er bei seinem Amtsantritt für einen Nachrichtendienst angetroffen hat, antwortete Dussey: Der NDB habe immer noch das gleiche Fahrgestell wie 2010, als der Inlands- und Auslandsnachrichtendienst fusioniert wurden. Jetzt gehe es darum, die Software dieses Autos an die heutigen Herausforderungen und Arbeitsweisen anzupassen. Insgesamt betonte Dussey sehr seine zivile Seite und seinen diplomatischen Hintergrund.

Rendez-vous, 19.05.2022, 12:30 Uhr

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