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Tierschützerin vor Gericht Grenzen der Tierliebe: Betreiberin einer Igelstation verurteilt

Die Aargauer Behörden haben eine beliebte Igelstation geschlossen. Nun gibt es ein Urteil. Die wichtigsten Antworten.

Das ist passiert: Es war eine grosse Überraschung im Sommer 2022, als die Aargauer Behörden der Igelstation Oberentfelden die Bewilligung entzogen, nach 18 Jahren an diesem Ort. Die heute 78-jährige Betreiberin hatte bereits seit 1984 kranke Igel gepflegt. Nach einer Kontrolle wurde sie aber verschiedener Vergehen beschuldigt.

Am Donnerstag hat sich die Frau vor dem Bezirksgericht Aarau verantwortet. Den Strafbefehl der Staatsanwaltschaft hatte sie nicht akzeptiert. Tatsächlich wurde sie vom Gericht nun in vielen Punkten freigesprochen, aber nicht in allen.

Ein Igel sitzt auf einer Zeitung
Legende: Igelstationen in der Schweiz nehmen jedes Jahr Hunderte von kranken oder verletzten Tieren auf, einige beklagen deshalb sogar Platzmangel. IMAGO / Funke Foto Services (Symbolbild)

Darüber wurde gestritten: Schuldig ist die Frau wegen Verstössen gegen die Tier- und Naturschutzverordnung, wegen Widerhandlungen gegen das Gesundheits- und Betäubungsmittelgesetz. Sie habe kranke Igel in Einzelfällen medizinisch nicht fachgerecht behandelt und Medikamente nicht richtig gelagert. Zudem hätten die Igel in zu kleinen Boxen gewohnt. Eine Zeugin sprach von einer «Überforderungssituation».

So lautet das Urteil: Eine bedingte Geldstrafe und eine Busse von 3000 Franken – das Strafmass ist bedeutend tiefer als von der Staatsanwaltschaft ursprünglich gefordert. Die Frau erklärte vor Gericht zum Teil unter Tränen, sie habe sich ihr Fachwissen über Jahrzehnte angeeignet und mit einer Tierklinik zusammengearbeitet. «Ich habe Igel gerettet, nicht gequält. Ich habe mich 38 Jahre lang 365 Tage im Jahr um die Tiere gekümmert.»

Vorwürfe an die Aargauer Behörden

Box aufklappen Box zuklappen
Fotografie des Titelbildes des Merkblatts «Anforderungen an die temporäre Haltung von Igeln» mit Igel in einer Waage
Legende: Der Bund beschreibt die Anforderungen an Igelstation in diesem Merkblatt, das sich primär an die kantonalen Vollzugsbehörden richtet. SRF/Maurice Velati

In der laut eigenen Angaben grössten privaten Igelstation der Schweiz in Oberentfelden wurden die Tiere in Einzelboxen mit 0.6 Quadratmetern Platz gehalten. Dies entspricht nicht den Vorschriften.

Allerdings – so der Anwalt der Angeklagten – haben die kantonalen Behörden dies schon seit Jahren gewusst und trotzdem immer wieder neue Betriebsbewilligungen erteilt.

«Ich bin darüber als Jurist enttäuscht», erklärte er gegenüber SRF. Eine Vertreterin des zuständigen Amts war vor Gericht als Zeugin geladen, wurde aber zu diesem Umstand nicht befragt.

In einem Schreiben hatte das Amt der heute 78-jährigen Tierschützerin sogar explizit für ihr jahrelanges Engagement gedankt.

Das gilt für Igel-Notpflegestationen: In den meisten Kantonen brauchen Igelstationen eine Bewilligung. Diese wird je nach Kanton von unterschiedlichen Ämtern erteilt. Es gibt klare Anforderungen: Unter anderem schreibt die Tierschutzverordnung vor, dass Igel in der Regel einzeln gehalten werden müssen und sie je einen Quadratmeter Platz benötigen.

Auch bezüglich Fütterung und medizinischer Versorgung gibt es Richtlinien. So dürfen nur Tierärztinnen oder Tierärzte darüber entscheiden, ob verschreibungspflichtige Medikamente angewendet werden. Gesund gepflegte Igel müssen übrigens an ihrem Fundort wieder ausgewildert werden, da sie dort über sehr gute Ortskenntnisse verfügen.

Ein Igel auf einem Boden mit Moos und Blättern bedeckt
Legende: Igel sind Wildtiere und gehören deshalb nur im Notfall in menschliche Obhut, wie Fachleute betonen. KEYSTONE/DPA/PATRICK PLEUL

Deshalb gibt es Igelstationen: Beim Verein Pro Igel sind über 20 Igelstationen in der Schweiz registriert, es gebe aber noch viel mehr, heisst es auf der Website. Medienberichte zeigen, dass einige Stationen sehr stark ausgelastet sind, weil viele Menschen kranke Tiere vorbeibringen. Auch die Igelstation in Oberentfelden behandelte nach Angaben einer Zeugin bis zu 700 Tiere pro Jahr.

Igel sind zwar Wildtiere, leben aber inzwischen mehrheitlich in menschlichen Siedlungsgebieten, weil ihre natürlichen Lebensräume diesen Siedlungen oder der intensiven Landwirtschaft weichen mussten. Deshalb fallen kranke Tiere auf und werden in Notpflege-Stationen gebracht. Laut Bundesamt für Umwelt macht dies «aus Gründen des Individualtierschutzes» Sinn. Tiere, die in der freien Wildbahn nicht mehr überleben könnten, müsse man aber einschläfern. Der Igel dürfe unter keinen Umständen «zu einem Gartenhaustier degradiert» werden.

Ich sehe einen vielleicht kranken Igel – was soll ich tun?

Regionaljournal Aargau Solothurn, 14.3.2024, 17:30 Uhr ; 

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