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Titandioxid E171 Migros verbannt umstrittenen Zusatzstoff aus Kaugummis

Weil die Konsumenten Druck machen, verbannen die Verkäufer den höchst umstrittenen Weissmacher aus immer mehr Produkten.

Als ein Hörer des SRF-Konsumentenmagazins «Espresso» die Zutatenliste des Einhorn-Glitzer-Sirups von der Migros genauer anschaut, stutzt er: Der Sirup enthält den Zusatzstoff E171, also Titandioxid. «Nicht gerade schlau», findet er es, dass die Migros ihn einem Kindergetränk beimischt.

Titandioxid wird als Weissmacher in der Lebensmittel- und Kosmetikindustrie eingesetzt. Überall dort, wo es verdächtig weiss ist oder glänzt, steckt er sehr wahrscheinlich drin. Von Kaugummis über Mozzarella und Gebäckglasuren bis zu Zahnpasta und Sonnencrèmes. Wissenschafter, die sich eingehend mit dem Stoff befasst haben, warnen: Titandioxid könnte krank machen.

Bund: «Verbot wäre nicht gerechtfertigt»

Ähnlich wie beim umstrittenen Unkrautvertilger Glyphosat gibt es aber auch beim Titandioxid andere Studien, die sagen, Titandioxid sei für den Konsumenten risikofrei. Dies ist auch die offizielle Empfehlung der Lebensmittelbehörden in der Schweiz und der EU. «Aktuell wäre es nicht gerechtfertigt, das Inverkehrbringen von Lebensmitteln mit Titandioxid generell zu verbieten», schreibt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen auf Anfrage von «Espresso».

In Frankreich sieht man das anders: Im Jahr 2020 sind Lebensmittel mit Titandioxid vorübergehend verboten.

Klar, dass dies die Konsumentinnen und Konsumenten verunsichert. Im Internetforum der Migros beispielsweise haben sich in den letzten Monaten die kritischen Stimmen gemehrt, die fordern, dass der Grossverteiler von sich aus auf den umstrittenen Weissmacher verzichtet.

Nicht mehr strahlend weiss, dafür ohne Titandioxid

Und die Migros bewegt sich nun auch in diese Richtung: «Wir merken, dass immer mehr Kunden Produkte ohne Zusatzstoffe wünschen und suchen deshalb nach Alternativen», sagt Migros-Sprecherin Cristina Maurer. Konkret wird dies bereits bei der hauseigenen Kaugummimarke Skai umgesetzt, zumindest vorerst bei einem Teil des Sortiments. Produzentin Chocolat Frey verzichtet dort auf E171. «Wenn man das weglässt, haben die Kaugummis halt einfach nicht mehr diese strahlend weisse Farbe. Sie sind eher gräulich oder bräunlich.»

Gefährlich für kleine Kinder und Leute mit dünner Darmbarriere

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Der grösste Teil der Bevölkerung könne solche Zusatzstoffe bedenkenlos konsumieren, aber bei gewissen Leuten könnten sie chronische Entzündungen auslösen, sagt Gerhard Rogler. Der Chefarzt am Zürcher Unispital und Magenspezialist hat in einer viel beachteten Studie die Auswirkungen von Titandioxid auf unseren Darm eingehend erforscht.

Das Problem sei, dass der künstlich hergestellte Weissmacher zum Teil bis zur Hälfte aus Nanopartikeln bestehe – je nachdem, wie sorgfältig der Hersteller ihn produziert habe. Bei gesunden Menschen verhindere eine genügend dicke Schleimschicht, dass diese Nanopartikel in den Körper gelangen. Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung hätten aber das Problem, dass diese natürliche Darmbarriere ausgedünnt sei und bei diesen Leuten könnten die Nanopartikel chronische Entzündungen auslösen, so Rogler. Holländische Toxikologen hätten überdies herausgefunden, dass kleine Kinder von allen Bevölkerungsgruppen am meisten Titandioxid aufnehmen – indem sie Zahnpasta mit diesem Weissmacher schlucken statt ausspucken.

Chefarzt: «Wir brauchen diese Substanz nicht.»

Dabei sei der Weissmacher an sich überflüssig, denn er habe keine weitere Funktion ausser Zahnpasta, Lebensmittel und Kosmetika schön weiss aussehen zu lassen: «Und da es keine Substanz ist, die wir fürs Leben wirklich brauchen, macht es das Leben wahrscheinlich für alle einfacher, wenn man sie ganz vermeidet», ist das Fazit des Magen-Darm-Spezialisten.

Den Glitzer-Sirup gibt’s nicht mehr

Und der Einhorn-Glitzer-Sirup? Die Migros-Sprecherin bestätigt, dass Titandioxid für das Glitzern gesorgt habe. Das Problem ist aber unterdessen keines mehr. Die Migros hat den Glitzer-Sirup nämlich aus dem Sortiment entfernt. Offiziell nicht wegen des Titandioxids, sondern im Rahmen des üblichen Sortimentwechsels.

Auch Lidl macht Schluss mit E171

«Espresso» fragt bei anderen Grossverteilern nach, wie sie es mit Titandioxid halten. Coop und Aldi verweisen auf die Empfehlungen des Bundes, wonach der Stoff als sicher eingestuft wird. Man beobachte die Diskussion aber aufmerksam. Und Aldi schreibt, dass bereits ein Grossteil ihrer Sonnenschutzmittel frei seien von diesem Zusatzstoff. Lidl geht weiter. Dort plant man, «so weit wie möglich auf künstliche Farbstoffe wie E171 zu verzichten». Man führe heute nur noch «gut eine Hand voll» Lebensmittel mit Titandioxid.

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