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Tödliche Krebsberatung Franco Cavalli fordert Strafartikel gegen Scharlatane

Krebsspezialist Franco Cavalli fordert in der «Rundschau» ein härteres Vorgehen gegen selbsternannte Wunderheiler. Der ehemalige Tessiner SP-Nationalrat reagiert damit auf den vermutlich vermeidbaren Leukämie-Tod einer 17-Jährigen.

Der renommierte Onkologe Franco Cavalli reagiert mit seiner Forderung auf den Fall der krebskranken Eleonora Bottaro aus Italien. 2016 lehnte die damals 17-Jährige im Spital von Bellinzona eine Chemotherapie ab, obwohl sie nach Meinung der Ärzte mit der Behandlung sehr gute Heilungschancen gehabt hätte. Die Eltern unterstützten sie in ihrer ablehnenden Haltung. Wenige Monate später starb Eleonora in Italien.

Der selbsternannte «Krebsheiler» Ryke Geerd Hamer im September 1997 im Kölner Amtsgericht.
Legende: 1997 vor Kölner Amtsgericht: 19 Monate Haft für Hamer wegen Verstoss gegen das Heilpraktikergesetz. Keystone/Archiv

«Germanische Neue Medizin»

Die Familie Bottaro vertraute auf Selbstheilung und offenbar auf die Theorie des umstrittenen Krebsheilers Ryke Geerd Hamer: ein deutscher Arzt, der 1981 die «Germanische Neue Medizin» erfand. Danach lösen unbewältigte psychische Konflikte Krebs aus. Chemotherapie sei tödlich und ein grosses Geschäft der Pharmaindustrie. Krebs müsse «überwunden» werden. Schmerz habe dabei eine heilsame Wirkung.

Der selbsternannte Krebsforscher vertritt auch eine antisemitische Verschwörungstheorie. Demnach ist die schulmedizinische Krebstherapie Massenmord. Denn jüdische Krebsspezialisten benutzten die Chemotherapie, um die Menschheit zu dezimieren.

Man muss nicht Arzt sein, um Hamers Theorie als absurd und totale Spinnerei entlarven zu können.
Autor: Franco Cavalli Onkologe, alt Nationalrat SP/TI

Cavalli warnt vor Hamer. Über dessen wirre Verschwörungstheorien ist er entsetzt. Sie erinnerten an die Rassenlehre der Nazis, die von der Übermacht der deutschen Rasse überzeugt waren. Medizinisch gesehen sei Hamers Theorie völlig absurd. Man brauche nicht Arzt zu sein, um dies zu durchschauen.

Cavalli fordert nun einen Artikel im Strafgesetzbuch, um solche Scharlatane zur Rechenschaft ziehen zu können. Gegenüber der «Rundschau» vergleicht er die selbsternannten Krebsheiler mit Terroristen. Gegen Terroristen könne man heute vorgehen, sagt Cavalli: «Ich glaube, genauso sollte man eine gesetzliche Grundlage schaffen, um gegen diese ebenso gefährlichen Spinner vorgehen zu können.»

Angeblich 140 Todesfälle

Anders als bei Ärzten und anerkannten Therapeuten haben die Behörden heute praktisch keine Möglichkeit gegen selbsternannte Wunderheiler vorzugehen.

Laut der Wiki-Website Psiram, welche pseudowissenschaftliche Heilmethoden kritisch dokumentiert, werden europaweit immer wieder Opfer der «Germanischen Neuen Medizin» bekannt. 140 seien es bis heute. Wobei laut Psiram von einer erheblichen Dunkelziffer auszugehen ist. Hamer und seine Anhänger bestreiten Zahlen und Todesfälle.

Hamer sass wegen illegalen Praktizierens ohne Zulassung und wegen Betrugs mehrfach in Haft. Verfahren sind noch hängig. Derzeit hält er sich in Norwegen auf. Das hindert seine Anhänger nicht daran, die Theorien weiter zu verbreiten. Auch in der Schweiz.

Hamer-Therapeut verdeckt gefilmt

Einer der prominentesten Verbreiter der «Germanischen Neuen Medizin» ist Mark Pfister, ein in Italien lebender Schweizer. Er war längere Zeit ein enger Vertrauter Hamers. Der ehemalige Masseur hält europaweit Vorträge und Seminare über die «Hamer-Methode». Im Kanton Tessin und in Italien berät er Krebskranke und Interessierte.

Eine als Patientin getarnte Journalistin des Investigativmagazins «Falò» des Fernsehens der italienischen Schweiz (RSI) hat Pfister kürzlich bei einem Beratungsgespräch im Tessin verdeckt gefilmt. Sie legte ihm echt wirkende Diagnose-Dokumente über einen bösartigen Tumor am Gebärmutterhals vor. Pfister sagte der «Patientin», ihr werde von der Schulmedizin nur eingeredet, dass sie krank sei.

«Reparatur des Körpers»

Für die Ursache des dokumentierten Gebärmutterhals-Karzinoms hatte Pfister eine verblüffende Erklärung: Die Patientin sei sexuell frustriert. Es handle sich um eine Erneuerung, eine «Reparatur» des Körpers, weil sie sich als Frau nicht ernst genommen fühle. «Sexuelle Frustration. Man definiert es als Gebärmutterhalskrebs. Es sind aber Rückfälle, weil du Probleme in der Beziehung zu Männern hast», sagte Pfister der verdeckt filmenden Journalistin.

Cavalli: «sexistisch und falsch»

Krebsspezialist Cavalli kann mit Pfisters Diagnose nichts anfangen: «Erstens ist so eine Aussage sexistisch und zweitens ist sie völlig falsch. Die sexuelle Frustration hat überhaupt nichts mit den Uterustumoren zu tun.» Das seien wissenschaftlich und biologisch inakzeptable Erklärungen.

Die «Rundschau» konfrontierte Mark Pfister mit der Kritik. Er weist die Vorwürfe zurück. Die versteckte Kamera sei ein Fall von «Medienterror und Hexenjagd». Er schicke Schwerkranke immer zum Arzt und halte niemanden von einer Chemotherapie ab. Jeder dürfe seinen Weg aus der Krankheit frei wählen.

Pfister: «Immer mehr Leute suchen Ärzte und Therapeuten auf, die sie nicht von oben kommandieren, sondern ihnen zuhören, verstehen, Hilfe und Kraft geben. Sie suchen Menschlichkeit. Jemandem, der neue Kenntnisse bringt, den Mund zu verbieten, anstatt sich hinzusetzen und diese wissenschaftlichen Kenntnisse zu diskutieren, das hat mit totalitären Systemen zu tun und nicht mit Wissenschaft.»

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