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Tötung eines Zufallsopfers Fremden Mann statt sich selbst getötet – sechs Jahre Gefängnis

  • Ende Januar 2021 wollte sich ein heute 32-jähriger Mann das Leben nehmen. Spontan kam ihm der Gedanke, einen älteren Mann zu töten.
  • Diesen fand er am Ufer der Limmat in Würenlos (AG). Der Angeklagte erwürgte den ihm unbekannten 81-Jährigen und rief die Polizei.
  • Am Dienstagabend hat das Bezirksgericht Baden über die Strafe für den geständigen Täter entschieden.
  • Es war Mord, befand das Gericht einstimmig und verhängte eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren, aufgeschoben zugunsten einer stationären Massnahme.

Für die Staatsanwaltschaft war die Tat skrupellos und aus einem Machtgefühl heraus entstanden. Sie forderte allerdings nicht die Höchststrafe für Mord, das wären 18 Jahre Gefängnis. Sie plädierte aufgrund psychischer Probleme des Täters auf zehn Jahre Freiheitsstrafe, aufgeschoben zugunsten einer stationären Massnahme. Für die Verteidigung war es kein Mord, sondern Totschlag und die Schuldfähigkeit des Angeklagten stark vermindert; sie forderte 32 Monate Gefängnis und eine stationäre Massnahme.

Limmat
Legende: Die Limmat bei Würenlos. Eigentlich wollte sich der Angeklagte selber das Leben nehmen, änderte aber spontan seinen Plan und tötete einen 81-Jährigen am Limmatufer. Die Polizei fand die Leiche «teilweise im Wasser liegend», wie es in der Medienmitteilung damals hiess. Wikimedia Commons/Roland zh

Der forensische Psychiater gab vor Gericht an, der Angeklagte leide seit der Jugend an psychischen Störungen, unter anderem habe er eine Persönlichkeitsstörung. Zudem leide er unter dem Asperger-Syndrom, einer autistischen Entwicklungsstörung.

Zum Tatzeitpunkt habe der 32-Jährige unter Stress gelitten und sei depressiv gewesen. Sein Suizidversuch war gescheitert, es waren zu viele Menschen am geplanten Ort. Der Mann sei kaum steuerbar gewesen. Man müsse von einer verminderten Schuldfähigkeit ausgehen. Nach der Tat habe er realisiert, was er getan habe und die Polizei informiert.

Anträge Staatsanwaltschaft und Verteidigung

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Die Staatsanwältin erklärte, die Beweislage sei eindeutig, die Tat emotionslos, der Beschuldigte habe schon länger Fantasien von Mord und Totschlag gehabt und sich keine Hilfe geholt. Der Angeklagte habe skrupellos gehandelt und aus einem Machtgefühl heraus getötet. Das sei Mord . Die Staatsanwaltschaft beantragte mit Beachtung der reduzierten Schuldfähigkeit eine Strafe von 10 Jahren Gefängnis, aufgeschoben zugunsten einer stationären Massnahme.

Der Pflichtverteidiger fand, die Tat sei ein absoluter Spezialfall, weil Täter und Opfer – anders als bei anderen Tötungsdelikten – keine Beziehung zueinander hatten. Es sei nicht Mord, schon gar kein Lustmord, sondern Totschlag . Der Täter habe sich zum Tatzeitpunkt fremd gefühlt. Der Suizidwille habe sich an jenem Tag in einen Fremdtötungswillen gewandelt. Er spricht von Kontrollverlust und verminderter Schuldfähigkeit.

Es bestehe die Möglichkeit weiterer Gewalttaten, erklärte der Gutachter. Die Rückfallgefahr sei «gross». Der Gutachter erachtet eine stationäre Therapie von zwei bis vier Jahren als nötig, je nach Kooperation und Einfluss des diagnostizierten Asperger-Syndroms.

Zwischen der Schweiz und Brasilien

Der Angeklagte ist in Brasilien aufgewachsen und hat dort eine deutschsprachige Schule besucht. Er habe eine gute Kindheit gehabt, erklärte er vor Gericht. 2009 kam er in die Schweiz. Er absolvierte die obligatorische Militärausbildung (RS) und begann 2010 mit der Jobsuche als gelernter Speditionskaufmann. Allerdings vermisste er seine Eltern, kündigte 2010 den Job und ging zurück nach Brasilien. Dort absolvierte er eine Pilotenausbildung. Im August 2019 kam er zurück in die Schweiz.

Der Angeklagte wollte als Pilot bei der Swiss einen Job finden, wurde allerdings nicht angenommen. Im März 2020 fand er eine Stelle am Flughafen Zürich, als «Airport-Allrounder»: Er war für das Be- und Entladen der Flugzeuge zuständig. Im Frühling 2020 stellt seine Firma aufgrund der Corona-Pandemie auf Kurzarbeit um, worauf er im Herbst 2020 entlassen wurde.

Aus Suizidgedanke wurde Fremdtötungswille

Der Mann fand eine temporäre Stelle bei der Post, ab Januar 2021 war er aber erneut arbeitslos. Finanzielle Engpässe, Schlafmangel und Suizid- und Tötungsgedanken hätten ihn geplagt. Dann habe er am 26. Januar entschieden, sich mit einem Sturz vom Turm des Uetlibergs das Leben zu nehmen.

Der Turm war allerdings geschlossen. Er habe den Druck verspürt, etwas «tun zu müssen», sei «im Kopf schon tot gewesen». Er sei nach Würenlos an die Limmat gegangen und habe sich für ein älteres Opfer entschieden, weil jenes das Leben «schon gehabt» habe. Nach der Tat habe er Schuldgefühle verspürt, es tue ihm leid.

Das Gericht anerkannte die verminderte Schuldfähigkeit des Täters, sagte aber auch, dass die Tat verwerflich sei und Mord war. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Hilfsangebote

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Es gibt verschiedene Stellen, an die sich Menschen in suizidalen Krisensituationen wenden können. Rund um die Uhr, vertraulich und kostenlos.

  • Die Dargebotene Hand: Telefon: 143 oder www.143.ch
  • Für Kinder und Jugendliche: «Beratung + Hilfe 147»: Telefon: 147 oder www.147.ch
  • Reden kann retten: www.reden-kann-retten.ch
  • Für Hinterbliebene: trauernetz.ch
  • Plattform für psychische Gesundheit: dureschnufe.ch

Regionaljournal Aargau Solothurn, 31.05.2022, 12:03 /17:30 Uhr ; 

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