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Treff für homosexuelle Männer Verborgene Welt im Wald: Besuch im Aargauer «Schwulenwäldli»

Ein Waldstück bei Mägenwil ist seit den 1970er-Jahren ein Treffpunkt für homosexuelle Männer – und zwar immer noch. Im Aargau spricht man vom «Schwulenwäldli». Es geht um den schnellen Sex, aber nicht nur. Ein Besuch offenbart Geschichten von Anonymität und Sehnsucht.

Was ist so besonders an diesem Wald? Es hat Bäume, Waldwege, Büsche. Ein ganz normaler Wald eben, könnte man meinen. Doch viele Jogger oder Velofahrerinnen meiden dieses Waldstück. Denn hier treffen sich seit den 70er- Jahren Männer, um Sex mit Männern zu haben.

Kandid Jäger und Praktikantin Livia Bürki im Wald
Legende: Kandid Jäger und Praktikantin Livia Bürki arbeiten für die Fachstelle Sexuelle Gesundheit Aargau. SRF / Joel Dätwyler

Im Aargau kursieren viele Geschichten rund ums sogenannte «Schwulenwäldli». Sind diese Geschichten wahr? Oder frei erfunden? Auf der Suche nach Antworten begleiten wir Kandid Jäger und Livia Bürki von der Fachstelle Sexuelle Gesundheit Aargau auf einem «Schwulenwäldli»-Spaziergang an einem warmen Sommerabend.

Autos aus der ganzen Schweiz

Kandid Jäger ist oft hier – und verteilt Kondome. Besonders im Frühling oder im Sommer, wenn sich sehr viele Männer im Wald treffen. Es sind an jenem Abend schätzungsweise 25 Männer vor Ort. Die vielen Autos mit Kennzeichen aus der ganzen Schweiz, welche am Waldrand parkiert wurden, geben Aufschluss über die Besucherfrequenz.

In der Nähe des Parkplatzes sei denn auch der erste Treffpunkt, sagt Jäger: «Meistens sitzt hier jemand und schaut, wer kommt und wer geht. Wenn ein attraktiver Mann vorbeikommt, gehen sie ihm nach.» Und dann verschwinden sie gemeinsam irgendwo auf einem Trampelpfad im Labyrinth des Waldes.

Trampelpfad im Wald
Legende: Beim Waldstück bei der Autobahnausfahrt Mägenwil im Aargau wird schnell klar, dass es sich hier um keinen normalen Wald handelt. SRF / Joel Dätwyler

Doch wir bleiben noch ein wenig beim Treffpunkt und versuchen, mit den Männern ins Gespräch zu kommen. Viele wollen nicht reden, keiner will sich zu erkennen geben. Manche berichten, dass in ihrem Umfeld niemand wisse, dass sie bi- oder homosexuell seien.

Hier habe ich sehr gute Gespräche.
Autor: Anonymer Mann im «Schwulenwäldli»

Andere Männer sagen, dass sie hier im «Schwulenwäldli» keine Angst haben müssten, erkannt zu werden. Ihre Familien würden nämlich einen grossen Bogen um diesen Wald machen. Dennoch würden sie ihre Autos immer so parkieren, damit man das Nummernschild auf keinen Fall erkennen könne.

Gespräche und Zufälle

Ein weiterer Mann behauptet, dass er vor allem hier in den Wald käme, um zu reden: «Hier habe ich sehr gute Gespräche. Weil ich nicht geoutet bin, kann ich hier mit Unbekannten über alles reden. Nicht mal mit meinen besten Kollegen kann ich besprechen, was ich hier im Wald besprechen kann.»

Schwarzer Müllsack im Wald
Legende: An vielen Bäumen im «Schwulenwäldli» hängen schwarze Abfallsäcke SRF / Joel Dätwyler

Auch ein Jogger kommt uns entgegen. Ob er wohl zufällig hier ist? Kandid Jäger lächelt: «Das kommt immer wieder vor. Viele behaupten, nur aus Versehen hier gelandet zu sein und fragen mich verdutzt, was denn dies für ein Wald sei.»

Viele behaupten, nur aus Versehen hier gelandet zu sein.
Autor: Kandid Jäger Sexuelle Gesundheit Aargau

Ein anderer, etwa 40-jähriger Mann sagt ganz offen, dass er nur für den schnellen Sex hier sei. Im Frühling und im Sommer sei er praktisch jede Woche hier. «Ich suche nichts Emotionales. Ich komme wegen des Sex, auch wenn es hier nicht immer zum Sex kommt.» Ihn störe es, wenn Leute beim Vorbeifahren homophobe Dinge zurufen würden, sagt der Mann.

«Schwulenwäldli»: Etikettenschwindel?

Im Aargau kursieren viele Geschichten oder Witze rund um das «Schwulenwäldli». Dass davor gewarnt wird, sich hier zu bücken, gehört noch zum Harmloseren. Was sagt Kandid Jäger zu solchen Gerüchten? «Alle, die irgendwas erzählen und noch nie hier waren, sollen einfach aufhören zu erzählen.»

Kandid Jäger und Livia Bürki verteilen Kondome im «Schwulenwäldli»
Legende: SRF / Joel Dätwyler

Selbst das Etikett «Schwulenwäldli» ist aus Sicht von Kandid Jäger eigentlich Etikettenschwindel. Denn viele Männer, die hier seien, um Sex mit Männern zu haben, würden sich selbst nicht als schwul betrachten. «Sie haben zwar Sex mit Männern, aber vielleicht nicht nur Sex mit Männern», so Jäger.

Regionaljournal Aargau Solothurn, 11.7.2025, 17:30 Uhr ; 

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