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Übervolle Notaufnahmen Schweizer Notfallstationen am Anschlag: ein Blick nach Basel

Personalmangel, Viren und Unfälle bringen Notaufnahmen an den Rand ihrer Kapazitäten. Ein Augenschein im Universitätsspital Basel.

Es ist ruhig im Notfall des Universitätsspitals Basel. Von Hektik keine Spur. Der Leiter des Notfallzentrums, Roland Bingisser, führt über die Station: «Hier haben wir eine schwere Anämie mit Verdacht auf Blutkrebs, heute entdeckt, hier ist eine Lungenentzündung, da ein unklarer Infekt mit 40 Grad Fieber und hier haben wir einen Hundebiss am Unterschenkel rechts, unbekannter Hund.»

In der Mitte der Notfallstation befindet sich die Schichtleitung. Dort sitzt Corina Blumer, sie ist die Schichtleiterin Pflege: «Ich verteile die Patienten auf die Plätze und organisiere Betten im Haus. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass der Laden auf der pflegerischen Seite läuft.» Es ist ein grosser Betrieb: Pro Jahr kommen 40'000 Personen zu Fuss, mit dem Auto oder dem Taxi in den Notfall, 15'000 mit der Ambulanz oder dem Helikopter.

Lebensrettende Massnahmen

Auf der einen Seite landen die schlimmen Fälle, diejenigen, die in den Schockraum müssen: «Hierhin kommen diejenigen Patienten, die sofort lebensrettende Massnahmen brauchen, zum Beispiel nach einem Autounfall mit Überrollen, bei einer Aorta-Ruptur, oder wenn das Herz nicht mehr pumpt.» Im Schnitt wird der Schockraum zehnmal pro Tag gebraucht.

Es ist paradox, dass die gesündesten Patienten am unzufriedensten sind.
Autor: Roland Bingisser Chef Notfallstation

Auf der anderen Seite des Notfalls sind diejenigen, bei denen es nicht pressiert: Eine Verstauchung, ein geschwollenes Handgelenk, eine Magenverstimmung. Dort muss man teilweise lange warten: «Wir haben eine massive Überlastung. Dann reden wir mit den Patienten und beruhigen sie. Es ist paradox, dass diese Patienten am unzufriedensten sind, obwohl sie am gesündesten sind», so Bingisser. Und doch wehrt sich er sich dagegen, dass die Bagatellfälle das grosse Problem seien.

«Mehr Gewalt»

Was ihm Sorgen bereitet, ist die Zunahme an schweren Fällen. Heute könne die Medizin viel mehr, also mache man mehr. Dazu sei die Welt brutaler geworden: «Es gibt mehr Gewalt, mehr Messerstechereien, mehr Schusswunden. Diese Fälle behandeln wir im Schockraum.»

Und weiter sagt Bingisser: Sie hätten viel mehr ältere Personen auf dem Notfall, auch aus Pflegeheimen: «Pflegeheime haben auch ein Personalproblem. Früher hatten sie mehr diplomiertes Pflegepersonal. Früher gab es auch mehr Hausärzte, die Pflegeheime besuchten und gesagt haben, dass etwas keine Notfallbehandlung brauche.»

Hinweischild für Autos, wo der Notfall des Universitätsspitals Basel ist
Legende: Für den Chefarzt im Notfall des Unispitals Basel sind nicht die Bagatellfälle das Problem, sondern die Zunahme an Gewalttaten. KEYSTONE/Georgios Kefalas

All das müsse nun das Personal auf dem Notfall ausbaden, sagt Bingisser. «Es sind im Moment unmögliche Bedingungen. Viel zu viele Patienten für viel zu wenig Personal. Man verzweifelt, weil wir unseren Ansprüchen nicht gerecht werden können.»

Es nimmt einfach kein Ende. Man kann fast nicht mehr durchatmen.
Autor: Stefan Erny Pflegefachmann auf dem Notfall

Das bestätigt auch Stefan Erny, der als Pflegefachmann auf dem Notfall arbeitet: «Es geht um die Anzahl Patientinnen und Patienten. Es nimmt einfach kein Ende. Man kann fast nicht mehr durchatmen.»

Die Mitarbeitenden müssten häufig ausbaden, was anderswo falsch laufe. Beispielsweise, wenn ein Patient aus der Notaufnahme in ein anderes Spital verlegt werden müsste, aber kein Platz gefunden werde, so Bingisser.  Dazu kommt der Personalmangel bei den Pflegefachpersonen und den Ärzten. Die Schichtarbeit und die vielen Wochenenddienste würden zu wenig entlöhnt.

Für Roland Bingisser bleibt es aber ein Traumjob: Jeder Tag ist anders. Und die Teamarbeit mache Spass. Sie funktioniere auf dem Notfall im Universitätsspital Basel. Daher sei es auch an hektischen Tagen ruhig: «Je professioneller der Betrieb läuft, desto ruhiger ist es.»

Rendez-vous, 13.10.2023, 12:30 Uhr

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