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Umstrittene Tierversuche Forschung an Schweinen – eine ethische Gratwanderung

Berner Forscher wollen in Zukunft Schweineherzen transplantieren. Die Forschung am Tier ist umstritten.

Wie kann man bei einem abgetrennten Fuss mehr Zeit gewinnen, um ihn wieder anzunähen? Könnten Menschenleben dank transplantierter Schweineherzen gerettet werden? Solchen Fragen gehen der Berner Forscher Robert Rieben und sein Team auf den Grund. Er ist an der Uni Bern Mitglied des Direktoriums des Departements für Biomedizinische Forschung.

Die Wirkung auf einen komplexen Organismus kann nicht vollständig nachgebildet werden.
Autor: Robert Rieben Biologe, Departement für Biomedizinische Forschung der Uni Bern

«Unser Ziel ist, den Patienten zu helfen», sagt Robert Rieben. Ein Grossteil der Forschung geschehe in vitro oder mithilfe von Computermodellen. Am Schluss könne damit aber nie die Wirkung in einem komplexen Organismus nachgebildet werden.

Schwein auf einem Operationstisch
Legende: SRF

Einen solchen Tierversuch mit einem Schwein haben drei SRF-Redaktorinnen im Rahmen des SRF Hotspot Podcasts «Arme Sau» begleitet. Der Versuch sollte aufzeigen, wie lange beispielsweise ein abgetrenntes Bein nach einem Unfall noch wieder angenäht werden kann.

Tierversuch am Schwein

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Beim Tierversuch an der Universität Bern, bei welchem die SRF-Reporterinnen anwesend waren, wurde dem Schwein unter Narkose ein Bein abgetrennt und mehrere Stunden später wieder angenäht. Untersucht wurde die Zeitspanne, in welcher man das Bein ohne medikamentöse Behandlung oder Anschluss an eine Herz-Kreislaufmaschine annähen kann, ohne dass das Gewebe danach abstirbt, das Bein also abgestossen wird. Der Versuch dauerte mehrere Stunden. Am Schluss wurde das Schwein euthanasiert, also getötet.

Überwacht, betreut und schliesslich auch eingeschläfert werden die Tiere in Robert Riebens Forschungsteam an der Uni Bern von der Anästhesistin Daniela Casoni. Sie besucht die Tiere schon auf dem Bauernhof. Trainiert die Schweine, damit sie beim Versuch nicht unter Stress sind. Und sie habe auch schon einen Tierversuch kurz vor der Durchführung abgebrochen. «Wenn ich sehe, dass die Forschung noch nicht fertig geplant ist, breche ich ab», sagt Casoni.

Sie beschäftige sich immer wieder mit ethischen Fragen. Für sie sei entscheidend, dass dank der Tierversuche das Wissen vergrössert und vielen Menschen geholfen werden könne. Die Euthanasie sei aber jedes Mal wieder schwierig, wenn auch rationalisiert: «Ich bin jedes Mal nervös, und das merken auch die Tiere.» 20 bis 50 Schweine setzen Rieben und seine Teams an der Uni Bern jährlich zur Forschung ein.

Tierversuchsgegner wehren sich

Mitte März 2019 wurde in der Schweiz die Initiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» mit gut 120'000 Stimmen eingereicht. Spätestens im November 2021 wird sie im National- und Ständerat behandelt und kommt dann vors Volk.

Hinter der Initiative steht eine Gruppe aus dem Umfeld von kleineren Tierrechtsorganisationen und aus der Alternativmedizin. Es sind zum Teil die gleichen Initianten, die schon vor knapp 30 Jahren ähnliche Forderungen stellten.

Es braucht das Tier als Zwischenstation nicht.
Autor: Renato Werndli Tierversuchsgegner, Hausarzt Eichberg

«Wir wollen, dass die Forschung im Labor mehr gefördert wird», sagt Mitinitiant Renato Werndli. Der Hausarzt aus Eichberg ist überzeugt, man habe wegen Tierversuchen schon viel zu viel Zeit verloren.

Verstoss gegen die Ethik? Das sagt die Tierethikerin

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Eine entscheidende Frage in der Tierethik sei, als wie ähnlich man Tier und Mensch betrachte, erklärt Tierethikerin Angela Martin von der Universität Basel. Entweder als ganz unterschiedlich, dann seien aber auch Tierversuche nicht zielführend. Oder als sehr ähnlich dem Menschen: «Dann stellt sich aber die Frage, warum wir ein Schwein, das uns so ähnlich ist, auf eine Art behandeln, wie wir das mit Menschen niemals machen würden.»

Gerade bei Konsumenten sei aber die Bereitschaft, die eigene Lebensweise zu hinterfragen, klein. «Man sieht vielleicht im Fernsehen eine Situation im Umgang mit Tieren, die man verurteilt, tut das dann aber als Einzelfall ab.» In der Fachsprache nennt man das die kognitive Dissonanz.

«Es braucht das Tier nicht als Zwischenstation», sagte Werndli. Es könne nach detaillierter Forschung mit Zellkulturen und Computermodellen direkt zur Erstanwendung am kranken Menschen übergegangen werden. Zurzeit gilt das Tier in der Schweiz juristisch als Sache. Nach Annahme der Initiative würden Tiere als empfindungs- und leidensfähige Wesen anerkannt.

Zu radikal für den Schweizer Tierschutz

Die Forderungen für ein komplettes Verbot von Tierversuchen gehen selbst dem Schweizer Tierschutz zu weit. Gerade in der Tiermedizin und Verhaltensforschung brauche es weiterhin Tierversuche, sagten Vertreter im März 2019 gegenüber Radio SRF. Beim Nutzen für die Humanmedizin ist man skeptischer. Der Schweizer Tierschutz unterstützt aber die Forderung, dass mehr in alternative Forschungsmethoden investiert wird.

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Espresso/ Treffpunkt/ Regionaljournal 5.10.2020

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