Michele Genoni ist ärztlicher Direktor der Rehaklinik Seewis. Vorher war er leitender Herzchirurg im Zürcher Triemli-Spital sowie am Universitätsspital Zürich. Ausserdem präsidiert er den Dachverband Spezialärztinnen und Spezialärzte Schweiz.
Der Start der neuen Pauschalen des Tarifssystems Tardoc Anfang nächstes Jahr macht ihm Sorgen: «Pauschalen sind nicht sachgerecht. Wir finden, dass der Bundesrat die schnelle Einführung der Pauschale mehr gewichtet als medizinische Facts.»
Ein Beispiel: Der endoskopische Eingriff bei den Kieferhöhlen. Der Arzt führt einen dünnen Schlauch durch die Nase in die Kieferhöhle ein, um blockierte Höhlen freizumachen. Der Eingriff dauert 25 Minuten. In der Pauschale gibt es dafür neu in Zürich rund 700 Franken.
In der gleichen Pauschale ist die Entfernung eines bösartigen Tumors aus der Nase enthalten. Das dauert drei Stunden. Auch dafür gibt es rund 700 Franken, obwohl der Eingriff sechsmal länger dauert als der Kieferhöhlen-Eingriff.
Mehr Wartezeiten in Spitälern befürchtet
Michele Genoni sagt, Chirurgen würden solche Patienten im neuen Tarifsystem ans Spital überweisen, weil solche Eingriffe in einer Praxis nicht kostendeckend seien. In der Folge gebe es mehr Wartezeiten für Patientinnen und Patienten in Spitälern.
Die Chirurgen verlangen daher die Verschiebung der Einführung jener Pauschalen, die noch nicht funktionieren. Tardoc würde zu viele medizinische Varianten in einer Pauschale verpacken.
Bundesrätin Baume-Schneider will davon aber nichts wissen: «Der Bundesrat will eine Qualität, will eine Sicherheit.» Die Bundesrätin möchte vorwärts machen und die Pauschalen zügig einführen. Der gleichen Meinung ist auch die Organisation ambulante Arzttarife OAAT, die die Pauschalen mit Versicherern, Ärzten und Spitälern aushandelt.
Gestaffelte Einführung ausgeschlossen
OAAT-Präsident Pierre-Alain Schnegg sagt gegenüber SRF, auch eine gestaffelte Einführung gehe nicht. Dies würde ein oder zwei Jahre Arbeit bedeuten, was die Tarifwerke «zum Tode verurteilen» würde.
Klar, seien die Pauschalen noch nicht perfekt, sagt er. Aber: «Wir korrigieren diese nach und nach.»
Die nächste Korrektur der Pauschalen erfolgt Anfang 2027. Weitere Anpassungen kommen noch später. Inzwischen sollten die Hausärzte dank der neuen Tarife und Pauschalen mehr Geld für ihre Leistung erhalten, gewisse Fachärzte dafür weniger. Auch die Chirurgen könnten tendenziell zu jenen gehören, die weniger Geld bekommen.
Sind Chirurgen gegen die Pauschalen, weil sie weniger Geld für ihre Leistungen erhalten? Genoni verneint dies: «Auf keinen Fall. Uns geht es um die Versorgungssicherheit, um Versorgungsqualität und den Patienten.»
Chirurgen wollen klagen
Bleibt der Bundesrat bis Anfang Jahr bei seinem Vorhaben, gehen die Fachärzte vor Gericht. Genoni droht mit Klagen, «weil die Pauschalen nicht sachgerecht und nicht betriebswirtschaftlich begründet sind».
Das neue Tarifsystem bereitet vielen Ärztinnen und Ärzten Kopfschmerzen. Wie stark die Patientinnen und Patienten den Systemwechsel im neuen Jahr schlussendlich spüren werden, wird sich weisen.