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Pflanzengift TFA flächendeckend im Schweizer Trinkwasser
Aus Kassensturz vom 26.04.2022.
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Umweltrisiko Trifluoracetat Pflanzengift TFA flächendeckend im Schweizer Trinkwasser

Schweizer Trinkwasser enthält den Problemstoff Trifluoracetat (TFA). Selbst Markenwasser aus der Flasche. Das zeigen Proben von SRF Investigativ. TFA lässt sich kaum herausfiltern. Die EU lässt den Stoff nun auf seine Gefährlichkeit untersuchen. Die Schweiz tut sich bislang schwer.

Ob in Medikamenten, Kühl- oder Pflanzenschutzmitteln: Trifluoracetat (TFA) steckt in unzähligen Chemikalien drin. Der Stoff hat nützliche Eigenschaften, er wirkt etwa als Stabilisator. Doch genau diese Beständigkeit ist auch das Problem: Sobald TFA ins Wasser gelangt, baut es sich dort nicht ab, sondern reichert sich immer mehr an. «TFA ist sehr langlebig», sagt Roman Wiget, Wasserversorger im Berner Seeland, «der Stoff begleitet uns ein Leben lang.» 

Tour de Suisse für Wasserproben

Um herauszufinden, ob es tatsächlich TFA im Trinkwasser hat, entnahm SRF Investigativ zwischen Bodensee und Neuenburgersee zehn Wasserproben. An Trinkhähnen in Schulen, Gemeindehäusern und Museen. Zusätzlich hat die Redaktion sieben meistverkaufte Mineralwasser aus dem Detailhandel analysieren lassen. 

Wie giftig ist TFA?

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TFA ist toxisch für Algen, wie Studien zeigen. Das heisst, die Pflanzen können bei TFA im Wasser nicht mehr richtig wachsen, sterben teilweise ab. Teils noch laufende Studien mit Ratten und Kaninchen deuten ebenfalls auf Missbildungen und Wachstumsstörungen bei Säugetieren hin – allerdings nur bei sehr hohen Konzentrationen von Trifluoracetat. Von einer gesundheitlichen Gefährdung für den Menschen geht Daniel Dietrich, Professor für Umwelt- und Humantoxikologie an der Universität Konstanz, deshalb nicht aus. Er sagt aber: «Auch wenn TFA für den Menschen nicht giftig sein sollte, muss man sich doch überlegen, ob diese Substanz in die Umwelt gehört.» Das deutsche Umweltbundesamt empfiehlt, TFA-Konzentrationen zu reduzieren, auch weil in der Vergangenheit öfters Risiken übersehen worden seien.

TFA im Wasser von Schulen und Gemeinden

Das «Technologiezentrum Wasser» in Karlsruhe fand in allen Trinkwasserproben TFA – mit Werten zwischen 0,51 und 1,5 µg/l (Werte und Stellungnahmen siehe Box). «Das ist sehr vergleichbar mit der Situation in Deutschland», sagt Karsten Nödler vom Labor. Üblicherweise würden in landwirtschaftlich intensiv genutzten Gebieten höhere Konzentrationen gemessen.

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Gemeindepräsident Markus Zink: «Ein gesellschaftliches Dilemma»
Aus Kassensturz vom 26.04.2022.
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Einen der höchsten TFA-Werte fand das Labor in Neerach. Die Zürcher Gemeinde hat wie viele andere in der Schweiz in den letzten Jahren viel Geld ins Trinkwasser investiert. Für Gemeindepräsident Markus Zink ist sauberes Wasser ein komplexes Problem: «Der Hersteller will Chemikalien verkaufen, der Bauer eine gute Ernte und die Bevölkerung sauberes Wasser.» Das sei ein gesellschaftliches Dilemma, das nur gemeinsam gelöst werden könne, und TFA sei wohl auch nicht die letzte Chemikalie, die sich im Wasser nachweisen lasse.

Schweizer Karte mit 10 Gemeinden zwischen Neuenburgersee und Bodensee.
Legende: 10 Gemeinden und ihre TFA-Werte In diesen 10 Gemeinden nahm SRF Wasserproben. Zur Einordung der Konzentrationen: Bei Pestiziden müssen die Behörden ab einem Wert von 0,1 µg/l Massnahmen prüfen. Das deutsche Umweltbundesamt empfiehlt, 10 µg/l TFA im Wasser nicht zu überschreiten, der Leitwert liegt dort bei 60 µg/l. SRF

Das sagen die Gemeinden zu den TFA-Werten

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Einige der 10 Gemeinden, in denen SRF Wasserproben nahmen, verfassten eine Stellungnahme. Zusammenfassend schreiben sie, ihr Trinkwasser sei einwandfrei trinkbar. TFA gelte heute als unschädlich und die gesetzlichen Vorgaben würden eingehalten. Teilweise sind neue Filtermethoden geplant oder angedacht. Mehr als eine Gemeinde schreibt auch, sie hätten nur beschränkt Einfluss darauf, welche Stoffe im Wasser landeten. Belmont-Broye hält fest, die Gefährlichkeit von TFA zu bewerten, falle «ausschliesslich in die Zuständigkeit des Bundes.» Gerlafingen schreibt: «Als Wasserversorger stehen wir am Ende einer langen Kette und sind darauf angewiesen, dass gefährliche Stoffe gar nicht erst ins Grundwasser gelangen.» Und Hochdorf fordert: «Jetzt ist es wichtig Strategien zu entwickeln, welche eine weitere TFA-Ansammlung im Trinkwasser verhindern. Dabei sind wir auf die Unterstützung von Fachpersonen angewiesen und als Gemeinde interessiert, die Umsetzung der Strategien zu unterstützen.»

Auch Mineralwasser mit TFA belastet

An TFA führt kein Weg vorbei. Denn das von SRF beauftragte Labor fand auch in allen sieben Mineralwassern TFA, mit Werten zwischen 0,08 und 0,76 µg/l (Werte und Stellungnahmen siehe Box). Das erstaunt den Verband Schweizerischer Mineralquellen und Soft-Drink-Produzenten (SMS), «weil natürliches Mineralwasser aus geschützten unterirdischen Schichten stammt.»

Warum ist TFA überall im Wasser?

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Trifluoracetat wird in vielen verschiedenen Bereichen eingesetzt. So ist TFA etwa das Abbauprodukt von zahlreichen Fluorchemikalien, die in Kälte- und Pflanzenschutzmitteln und Medikamenten drin sind. TFA gelangt auf unterschiedlichen Wegen ins Wasser: Kältemittel aus Klimaanlangen etwa entweichen in die Atmosphäre, werden dort abgebaut, wobei TFA entstehen kann. Dieses Trifluoracetat kommt mit Regen oder Schnee zurück auf die Erde. Pestizide dagegen versickern im Boden, wo sie sich zu TFA abbauen, welches im Grundwasser landet. Hinzukommen etwa Fabriken, die ihr TFA-versetztes Abwasser direkt in einen Fluss einleiten. Aus all diesem Wasser – Grundwasser, See- und Flusswasser sowie Quellwasser – wird Trinkwasser gewonnen. Es gibt wenige natürliche Quellen von TFA wie Tiefseeschloten im Meer, deren Anteil an den TFA-Konzentrationen im Wasser von Fachleuten als sehr gering eingeschätzt wird.

Henniez weist bei den Messungen die höchste Konzentration auf. Nestlé Waters, zu dem Henniez gehört, schreibt: «TFA steht auf keiner behördlichen Liste als problematische Substanz und wird von den Schweizer Behörden auch nicht als gesundheitsgefährdend eingestuft.» Henniez sei absolut sicher und könne bedenkenlos getrunken werden. 

Schweizer Karte mit den Quellorten der beprobten Mineralwasser.
Legende: 7 Mineralwasser und ihre TFA-Werte Diese Mineralwasser gehören zu den meistverkauften der Schweiz. Zur Einordung der Konzentrationen: Bei Pestiziden müssen die Behörden ab einem Wert von 0,1 µg/l Massnahmen prüfen. Das deutsche Umweltbundesamt empfiehlt, 10 µg/l TFA im Wasser nicht zu überschreiten, der Leitwert liegt dort bei 60 µg/l. SRF

Das sagen die Mineralwasserhersteller zu den TFA-Werten

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  • Nestlé Waters (Henniez): «Die winzigen Spuren, die Sie in Ihren Tests gefunden haben, haben keinerlei Auswirkungen auf die Gesundheit. Um sich eine Vorstellung zu machen, wie verschwindend klein diese Spuren sind: sie verhalten sich etwa sowie ein paar Tropfen, die Sie einem olympischen Schwimmbad von 2'500'000 Litern zugeben. Die Qualität und Sicherheit unseres Wassers stehen an oberster Stelle unserer Arbeit. Deshalb führen wir in unserer Abfüllanlage in Henniez jeden Tag über 500 strenge Qualitätstests an unserem Wasser und unseren Produkten durch.»
  • Verband Schweizerischer Mineralquellen (Evian, Valser und Henniez): «Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sieht in TFA kein gesundheitliches Risiko. Natürliches Mineralwasser kann unbeschwert genossen werden. Inwiefern TFA durch menschliches Handeln oder durch natürliche Vorgänge in die Umwelt gelangt, ist noch unklar.»
  • Coop (Swiss Alpina, Prix Garantie): «Für eine umfassende Einschätzung der nachgewiesenen Werte sind fundierte gesetzliche und wissenschaftliche Grundlagen notwendig. Wir werden die getesteten Produkte verifizieren und den Produktionsprozess entsprechend analysieren.»
  • Migros (Aproz, M-Budget): «Für Trifluoracetat gibt es keinen gesetzlichen Grenzwert, es liegt also keine Überschreitung vor. Unsere Produkte weisen im Vergleich zu verschiedenen Proben von Leitungswasser in diversen Gemeinden einen deutlich niedrigeren Trifluoracetat-Gehalt auf. Die Sicherheit unserer Produkte steht für uns an oberster Stelle – wir beobachten die Entwicklungen rund um Trifluoracetat weiterhin sehr genau.»

In der EU auf dem Radar

Trifluoracetat wird auch als «forever chemical» bezeichnet, weil sich der Stoff nicht mit etablierten Methoden aus dem Wasser herausfiltern lässt. Die TFA-Konzentrationen im Wasser dürften so künftig nur noch zunehmen. Die EU-Lebensmittelbehörde EFSA lässt derzeit verschiedene Stoffe, die sich zu TFA abbauen, untersuchen. Es gebe Bedenken, dass TFA die Gesundheit von Säugetieren schädigen könnte, schreibt die EFSA auf Anfrage von SRF. Deutschland kennt auch einen Höchstwert für TFA im Wasser.

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Professor Daniel Dietrich: «Toxikologisch ist TFA kein Risiko»
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Im Gegensatz dazu messen die Schweizer Behörden das Umweltgift im Wasser bisher nicht systematisch. Obwohl das Wasserforschungsinstitut EAWAG dem Bund bereits im Jahr 2000 ein Monitoring empfahl und TFA seither in verschiedenen Berichten Thema war.

Was macht die Schweiz?

Bei den Schweizer Behörden scheint TFA bisher zwischen Stuhl und Bank zu fallen. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit BLV, das für Trinkwasser und Pestizidzulassungen zuständig ist, verweist mehrheitlich an das Bundesamt für Umwelt BAFU, das sich wiederum nur mit Grund- und Oberflächengewässer befasst. In einer gemeinsamen Stellungnahme schreiben sie, es laufe derzeit «eine erste Evaluation der Belastungssituation zu TFA» in Seen, Flüssen, Grundwasser und Niederschlag. Auch würde TFA seit 2011 auf dem Jungfraujoch in der Luft gemessen und es gebe eine Meldepflicht für Kältemittel.

Auf die Frage, ob ein Höchstwert für TFA angezeigt wäre, schreiben BLV und BAFU: «Falls die Messkampagnen des BAFU verbreitet erhöhte Werte zeigen sollten und sich dies auch in den Trinkwasserfassungen zeigt, wird das BLV die Situation neu evaluieren.»

«Schnelles Handeln ist angezeigt»

Wasserversorger Roman Wiget geht das zu langsam: «Die Risiken, die von solchen Substanzen ausgehen, werden systematisch unterschätzt.» Er und andere Wasserversorger fordern seit Jahren, dass TFA zumindest ins Messprogramm zur Grundwasserüberwachung aufgenommen werde. «Es ist schwer nachvollziehbar», so Wiget, «dass das in der Schweiz immer noch fehlt.»

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Roman Wiget: «Die Risiken werden systematisch unterschätzt»
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Kurt Seiler, Kantonschemiker (AI, AR, SH), doppelt in der Sendung «Kassensturz» nach und fordert, dass sich der Bund für ein Verbot bestimmter Kältemittel stark macht. «Schnelles Handeln ist angezeigt», sagt Seiler, «wohlwissend, dass es nachher noch genug lange geht, bis die Stoffe aus der Umwelt sind.»

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Gespräch mit Kantonschemiker Kurt Seiler im «Kassensturz»
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SRF Impact, 26.04.2022, 17 Uhr

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