Zum Inhalt springen

Unabhängigkeit der Justiz Westschweizer Richter wollen Parteien kein Geld mehr zahlen

In der Romandie wollen immer mehr Richterinnen und Richter ihrer Partei kein Geld mehr abgeben müssen. Das hat Folgen.

Die Richterinnen und Richter im Kanton Neuenburg sorgen sich um ihr Image in der Bevölkerung. Darum wollen sie ihren Parteien kein Geld mehr bezahlen: Mit einem Brief fordert der Verband der Neuenburger Richter die Parteien dazu auf, künftig kein Geld mehr von ihnen zu verlangen – und seine Mitglieder fordert er auf, diese Abgaben nicht mehr zu bezahlen. Damit haben die Neuenburger Richterinnen und Richter die Diskussion um die sogenannten Mandatssteuern neu entfacht.

Unabhängigkeit der Justiz in Gefahr?

«Man könnte denken, dass wir nicht unabhängig urteilen», erklärt Marc Rémy, Präsident der kantonalen Vereinigung der Richter und Staatsanwälte (AMJN). Das Problem: Richterinnen und Richter müssen ihren Parteien einen fixen Bestandteil ihres Lohnes abgeben. «Es geht um unsere intellektuelle Unabhängigkeit. Man könnte meinen, dass wir beim Urteilen daran denken, dass wir in ein paar Jahren wiedergewählt werden müssen.»

Gleichwohl, räumt Rémy ein, seien die Richterinnen und Richter des Kantons heute unabhängig. «Wir spüren keinen Druck aus der Politik.» Vielen Richterinnen und Richtern sei es aber unwohl dabei, von ihrer Partei regelmässig einen Einzahlungsschein zu erhalten mit einer Aufforderung, einen bestimmten Betrag zu bezahlen. Darum sollen diese Zahlungen nun freiwillig werden.

Mandatssteuern gibt es auf kantonaler Ebene, aber etwa auch national bei den Bundesrichterinnen. Dies sorgt schon seit Jahren für Kritik, etwa durch die GRECO, das Anti-Korruptions-Organ des Europarats. Auch die Schweizerische Vereinigung der Richterinnen und Richter (SVR) stellt sich dagegen.

Der Trend geht klar in Richtung einer Entpolitisierung der Justiz
Autor: Alfio Russo Neuenburger Jurist

«Das System ist wirklich alt», erklärt Alfio Russo. Der Neuenburger Jurist hat mit seiner Doktorarbeit mit dem Wahlsystem der Richterinnen und Richter in der Schweiz erforscht. «Schon seit etwa 200 Jahren werden die Richter in der Schweiz vom Parlament gewählt.» Die Idee ist, dass sich das Gewicht der politischen Lager ungefähr in der Zusammensetzung der Gerichte wiederfinde. Darum gehören die Richter meist einer Partei an, werden von dieser aufgestellt – und gewählt. «Darum wollen die Parteien von ihren Leuten einen Beitrag an das Wohlergehen der Partei, gleich wie bei gewählten Politikern», so Ruffo.

Druck aus der Romandie

Dieses System habe man lange nicht infrage gestellt. «In den letzten Jahren aber hat sich die Diskussion entwickelt», sagt Russo. Etwa mit der Diskussion um die Justiz-Initiative auf nationaler Ebene, die 2021 zwar abgelehnt wurde, aber für das Thema sensibilisiert habe. «Der Trend geht klar in Richtung einer Entpolitisierung der Justiz und einer Abschaffung der Mandatssteuern.»

Jura: Parteien vor Geldproblemen

Box aufklappen Box zuklappen

Im Kanton Jura sind die Richterinnen und Richter gemeinsam zur Tat geschritten und zahlen die Mandatssteuern nur noch auf freiwilliger Basis – wenn überhaupt: Wie Recherchen zeigen, haben die Beträge stark abgenommen. Viele Richterinnen und Richter zahlen gar nicht mehr.

Das reisst bei vielen Parteien ein Loch in die Kasse. Gerade bei der CVP, die einen Grossteil der Richterinnen und Richter des Kantons stellt. Oder bei der SP, die traditionell höhere Mandatssteuern verlangt.

Bei der jurassischen SP hat das bereits konkrete Folgen. Anstelle der Richterinnen und Richter müssen nun die anderen gewählten Politiker in Regierung und Parlament, kantonal und national bis zu 1000 Franken pro Jahr mehr zahlen.

Der Druck kommt derzeit vor allem aus der Romandie. In Genf will die Partei MCG per Gesetz verbieten, dass Richter ihren Parteien etwas bezahlen. Bis anhin sind es die Parteien, die dies festlegen. Im Wallis verlangt die SP satte 20 Prozent des Richterlohns, eine Richterin will nicht mehr zahlen. In Freiburg laufen ähnliche Diskussionen. Der Kanton Jura ist bereits einen Schritt weiter.

Schweiz aktuell, 11.05.2022, 19 Uhr

Meistgelesene Artikel