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Unfaire Arbeitsverträge Schuldenfalle für Versicherungsberater

Das Wichtigste in Kürze

  • In verschiedenen Branchen werden tiefe Basislöhne und Provisionen ausbezahlt. Hier besteht für den Arbeitnehmer das Risiko einer Verschuldung.
  • Ein Berater der Allianz Versicherungen hat zum Beispiel mit diesem Lohnmodell nach zwei Jahren einen Schuldenberg von 20'000 Franken angehäuft.
  • Für den Arbeitsrechtsexperten Thomas Geiser ist allerdings fraglich, ob der Berater die Schulden zurückzahlen muss. Denn der Arbeitgeber habe auch eine Fürsorgepflicht.
  • Der Generalagent entgegnet auf Anfrage von «Kassensturz», er habe seine Pflichten wahrgenommen.

In der Versicherungsbranche sind tiefe Fixlöhne und die Vorauszahlung von Provisionen gang und gäbe. Die grosse Gefahr: Solche Lohnsysteme können dazu führen, dass sich Arbeitnehmer verschulden.

Genau das ist A.B. (Name der Redaktion bekannt) passiert. Er arbeitete bei der Generalagentur der Allianz-Versicherungen in Schaffhausen. Als er nach zwei Jahren kündigte, sass er auf einem Schuldenberg von 20'000 Franken. Die Ursache: Sein Arbeitsvertrag als Kundenberater im Aussendienst.

Der Generalagent entschädigte A.B. wie folgt:

Lohnrechnung
Legende: SRF

Der grösste Teil des Lohnes, die Provisionen, bekam der Berater als Vorschuss ausbezahlt. A.B. ging davon aus, dass er Abschlüsse und Provisionen in der Höhe tätigen könnte. Doch aus den Provisionsvorschüssen wurden Schulden gegenüber seinem Arbeitgeber, ein sogenannter «Minussaldo» entstand.

Arbeitsvertrag ist zulässig

Thomas Geiser, ehemaliger Professor für Arbeitsrecht, sagt, Arbeitsverträge mit einem hohen Anteil an Provisionen seien zulässig. Aber: «Voraussetzung ist, dass damit ein angemessenes Entgeld erzielt werden kann.»

Der Berater kritisiert, er habe mehrmals einen grösseren Kundenbestand und ein eigenes geografisches Gebiet gefordert – erfolglos. «Kassensturz» kennt weitere ehemalige Kundenberater dieser Agentur, die während ihrer Tätigkeit Schulden anhäuften und zurückzahlen mussten.

Arbeitgeber trägt Mitverantwortung am Minussaldo

Arbeitsrechtsexperte Thomas Geiser verweist auf die Fürsorgepflicht von Arbeitgebern. Seiner Meinung nach ist es fraglich, ob A.B. die Summe zurückzahlen muss: «Ich gehe davon aus, dass der Arbeitgeber eine grosse Mitverantwortung an diesem Minus trägt, folglich muss er seinen Anteil leisten.»

Ausführliche Stellungnahme:

Der Generalagent der Allianz Versicherungen schreibt, er habe seine Pflichten wahrgenommen und: «In der grossen Mehrheit werden in unserer Generalagentur Provisionen erzielt, die mindestens dem Provisionsvorschuss entsprechen [...]. Provisionsvorschüsse sind bei Aussendienstmitarbeitenden, die davon Gebrauch machen, geschätzt. Diese glätten im Normalfall das erfolgsabhängige Einkommen.» Offen bleibt, ob er auf der Rückzahlung der 20'000 Franken besteht.

Lohmodelle mit Basislohn und Provision verbreitet

Lohnmodelle mit einem tiefen Basislohn und Provision sind nicht nur in der Versicherungsbranche verbreitet, sondern auch im Detailhandel oder in Coiffeursalon-Ketten. Leena Schmitter, Sprecherin der Gewerkschaft Unia, kritisiert: «Die Angestellten haben so keinen garantierten Lohn.» Das unternehmerische Risiko werde auf die Mitarbeiter abgewälzt. Dazu kommt, dass beim Provisions-Vorschuss die Gefahr besteht, dass ein sicheres Einkommen vorgetäuscht wird.

«Kassensturz» hat bei grossen Versicherungen nachgefragt: Zahlen Sie Provisionen als Vorbezug aus? Fordern Sie einen Minussaldo zurück?

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