Diesen Tag im Frühling 2008 vergisst die 34-jährige Frau – nennen wir sie Sara Berisha – nie wieder: Auf einer Autobahnausfahrt wird sie erst von hinten, dann seitlich gerammt. Sie wird in ihrem Auto eingeklemmt. Seit damals sei sie nicht mehr dieselbe, sagt die Serbin. Sie spricht nur gebrochen Deutsch.
Mein Leben ist ganz kaputt, ich bin jetzt eine andere Person, mit viel Schmerzen im Kopf und mit viel Angst.
Schmerzen und psychische Probleme würden sie bis heute plagen, sagt Berisha. Doch die IV wies ihr Rentengesuch vor sieben Jahren ab. Eine Rolle spielten dabei auch die Beobachtungen einer privaten Überwachungsfirma. Dass sie beschattet wurde, erfährt Berisha im Nachhinein. Seither fühle sie sich verfolgt – schon nur, wenn jemand mit einer Kamera herumspaziere.
Nur den Rat der Psychiaterin befolgt
«Wenn jemand von mir mit einer Kamera Fotos macht, kommt mir immer der Gedanke, alle Leute beobachten mich», sagt sie. Beschattet wurde Berisha in einem Zeitraum von einem halben Jahr an insgesamt 17 Tagen. Der Versicherungsdetektiv dreht Videos, macht Fotos, schreibt Protokolle.
Etwa darüber, wie Berisha, kurz S. B., mit ihrer Familie in ein Einkaufszentrum gefahren wird: «Im Rietcenter suchen sie Otto's Warenposten auf und schauen sich diverse Artikel an. S.B. ist sichtlich gut gelaunt.» Berisha sagt, sie tue nur, wozu ihr die Psychiaterin geraten habe: hinausgehen, an die frische Luft, einkaufen. Nur habe sie davor mittlerweile Angst – weil sie sich beobachtet fühle. So gefährde die Observation von damals die Therapie von heute.
Nichts gefunden, was auf Betrug hinweist
Von Gesetzes wegen dürfte sie derzeit allerdings nicht beschattet werden. Überdies sprach ein kantonales Versicherungsgericht Berisha eine IV-Rente zu. Die Observation hiess das Gericht zwar gut. Aber die Ergebnisse seien bescheiden ausgefallen. Zwei Gutachten stellten fest: Das Überwachungsmaterial zeige nichts, was die Observierte als Betrügerin entlarven würde.
Berisha selber fragt sich noch heute, acht Jahre nach der Observation: «Darf ich noch hinausgehen? Darf ich draussen lachen?» Lakonisch kommentiert die 34-Jährige: «Wenn ich tot wäre, würde ich nicht laufen, nicht lachen und nicht reden.» Sie sei aber nicht tot. Nur Tote würden gar nicht mehr lachen.