Bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist seit 2012 Pascal Saint-Amans zuständiger Direktor für Steuerpolitik. Er spielte eine massgebliche Rolle beim Thema Steuertransparenz und Informationsaustausch innerhalb der OECD und der G20. SRF wollte von ihm wissen, wie das Nein zur Unternehmenssteuerreform III bei der Organisation aufgenommen wird.
SRF News: Pascal Saint-Amans, die Schweizer Bevölkerung hat die USR III verworfen. Sind Sie eher enttäuscht, oder eher wütend?
Pascal Saint-Amans: Weder enttäuscht noch wütend. Ein bisschen enttäuscht sind wir, weil das bisherige Steuermodell jetzt nicht zerschlagen worden ist. Aber wir sind nicht wütend, weil wir verstehen, dass die Fragen, die der Schweizer Bevölkerung gestern gestellt wurden, viel breiter gefasst waren, und eine globale Steuerreform betrafen. Dabei ging es auch darum, die Wettbewerbsfähigkeit der Schweiz zu verbessern, was eine Fülle weiterer Aspekte einschloss.
Der Bunderrat ist entschlossen, eine Alternative zu finden, kann aber neues Reformpaket nicht vor 2021 in Kraft setzen. Die OECD bevorzugt eine Lösung bis 2019. Werden Sie der Schweiz mehr Zeit geben?
Die Schweiz hat sich gegenüber all seinen Partnern verpflichtet, bis 2019 diese Steuermodelle aufzugeben. Das ist nun rund fünf Jahre her, man weiss also schon länger, dass man das umsetzen muss. Das hätte jetzt geschehen sollen, ist es aber nicht. Das Schweizer Volk hat diese Reform abgelehnt, weil sie als zu vorteilhaft für die Unternehmen galt.
Nun glaube ich, könnten die Partner der Schweiz etwas ungeduldig werden, wenn nochmals vier oder fünf Jahre vergehen. Auch wenn man sich vor Augen hält, dass man sich in der Schweiz einig ist, dass diese Steuermodelle eliminiert werden müssen. Die Schweiz hat das ja selbst festgestellt. Die Schweiz hat ja jetzt noch zwei Jahre Zeit bis 2019, um das zu regeln.
Also, keine Geduld?
Aber doch, man hatte ja Geduld, wie ich finde. Die hatte man mehrere Jahre, seit die Schweiz 2014 gesagt hat: «Diese Steuerpraxis ist schädlich. Wir werden sie eliminieren.» Bis 2019 waren es jetzt vier Jahre. Ich glaube, dass alle verstehen, dass die Schweizer Demokratie, die ja beispielhaft ist, Zeit braucht. Aber man muss diese Zeit, die eine Demokratie braucht, nun mit den Verpflichtungen zusammenbringen, die die Schweiz eingegangen ist – sprich, die Praxis zu ändern.
Zwei Jahre mehr, das scheint mir dem Prozess der direkten Demokratie nicht im Weg zu stehen. Das würde es der Schweiz erlauben, ihre internationalen Verpflichtungen zur erfüllen. Es geht hier um die Glaubwürdigkeit der Schweiz in diesem Bereich und dass sie nicht zögerlich erscheint bei Steuerpraxen, bei denen alle denken, dass sie schädlich sind – sogar die Schweiz selbst.
Früher sagten Sie einmal, was die Schweiz beim Bankgeheimnis zum Einlenken gebracht hat, war die «schwarze Liste». Werden Sie nun zu dieser Strategie zurückkehren?
Ich werde mich sicher nicht dazu verleiten lassen, zu sagen, dass die Schweiz auf eine «schwarze Liste» gesetzt werden soll. Heute geht es nicht darum, sondern vielmehr um die Gemeinschaft aller Länder: Wir haben heute in der OECD 94 gleichberechtigte Länder, alle Länder der OECD und der G20.
Es geht um den Kampf gegen die Erosion der Steuerbasis, den Kampf gegen das Verschieben von Gewinnen. All diese Länder haben in gegenseitiger Absprache Anstrengungen unternommen, damit existierender Steuerwettbewerb nicht schädlich ist, und sich nicht gegen die Länder richtet, auch nicht gegen die Schweiz. Um das zu erreichen, muss man Steuerpraxen zerschlagen. Es gibt also diesen Druck der Länder. Und der wird ausreichen. Dafür braucht man keine schwarze Liste ins Spiel zu bringen.
Das Gespräch führte Susanne Wille.
Hier das Interview im französichen Originalton: