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Unterschriftenfälschung Politologe: «Der Anreiz zu fälschen, ist relativ gross»

Gewisse Volksinitiativen und Referenden sind möglicherweise nur zustande gekommen, weil kommerzielle Unterschriftensammler im grossen Stil Unterschriften gefälscht haben sollen. Die Bundesanwaltschaft ermittelt in mehreren Fällen, wie die Tamedia-Zeitungen berichteten. Politologe Michael Hermann erklärt, warum das Sammeln schwieriger und der Anreiz, Unterschriften zu fälschen, grösser geworden ist.

Michael Hermann

Politologe

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Michael Hermann ist Politikgeograf und -wissenschaftler. Zudem leitet er das Forschungsinstitut Sotomo.

SRF News: Hat Sie dieser Verdacht auf Wahlfälschung überrascht?

Michael Hermann: Überrascht hat mich das überhaupt nicht. Ich habe es eigentlich erwartet, da es diesbezüglich schon lange Vermutungen gab, und es ist sehr wichtig, dass dies jetzt an die Öffentlichkeit kommt. Diese Unterschriftenfälschungen müssen nun bekämpft werden. Es ist jedoch naheliegend, dass so etwas passieren konnte, weil es sehr mühsam geworden ist, Unterschriften zu sammeln. Dadurch ist der Anreiz für Menschen im Feld zu fälschen, natürlich relativ gross. Es geht schneller, wenn man fälscht, als wenn man es richtig macht.

Bauklötze mit Wappen in Pyramidenform vor einer Wand.
Legende: Das Sammeln von Unterschriften ist langwierig. So werden mitunter Organisationen damit beauftragt – und pro Unterschrift bezahlt. KEYSTONE / Peter Klaunzer

Hat die Schweiz effektiv unrechtmässig über Vorlagen abgestimmt?

Das kann sein. Wir haben über Vorlagen abgestimmt, die möglicherweise sonst nicht vors Volk gekommen wären. Zugleich konnten wir jedoch immer abstimmen und diese mutmasslich gefälschten Vorlagen ablehnen. Ein Betrug bei Abstimmungsergebnissen wäre viel gravierender.

Es ist nicht im Sinne und Geist einer Demokratie, auf so kommerzielle Weise Unterschriften zu sammeln.

Gleichzeitig verdeutlichen diese Fälschungen ein anderes Problem: Es ist schwieriger geworden, Unterschriften zu sammeln, obwohl die Schweiz immer grösser wird. Zwar gibt es immer mehr Stimmberechtigte. Aber früher war es viel einfacher, da die Initiativkomitees jeweils am Wahlsonntag an den Urnen Unterschriften gesammelt haben. Dort haben sie alle politisch interessierten Menschen angetroffen. Diese Zeiten sind vorbei – heute stimmen viele per Briefwahl ab, und es ist viel schwieriger, die 100’000 Unterschriften für eine Initiative zu sammeln.

Keine Indizien zu unrechtmässig zustande gekommenen Vorlagen

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In einer Stellungnahme der Bundeskanzlei vom Dienstag schreibt diese: «So lange die laufenden Strafuntersuchungen nicht abgeschlossen sind, kann die Bundeskanzlei keine gesicherten Aussagen machen über das Ausmass mutmasslicher Unterschriftenfälschungen. Doch ihres Erachtens liegen keine belastbaren Indizien vor für die Vermutung, dass über Vorlagen abgestimmt wurde, die nicht rechtmässig zustande gekommen sind.»

Inwiefern wird nun das Vertrauen in die direkte Demokratie beschädigt?

Ich denke, es ist jetzt wichtig, dass der Missbrauch aufgedeckt wird, da dies das Vertrauen wiederherstellen kann. Und nochmals: Es wäre viel schlimmer gewesen, wenn es sich um Wahlbetrug gehandelt hätte.

Derweil wird aus der Politik die Forderung laut, das gewerbsmässige Sammeln von Unterschriften solle verboten werden. Unterstützen Sie das?

Ja, ich finde, das sollte man sich überlegen, weil bezahlte Unterschriften ein Risiko darstellen und es auch nicht im Sinne und Geist einer Demokratie ist, auf so kommerzielle Weise Unterschriften zu sammeln. Viel wichtiger ist mir jedoch, dass man jetzt echte Missbrauchsbekämpfung betreibt und anschliessend das Unterschriftensammeln viel genauer kontrolliert.

Das Gespräch führte David Karasek.

Tagesgespräch, 3.9.2024, 13:00 Uhr ; 

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