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Untersuchung zu Cryptoleaks Nachrichtendienst führt Bundesrat – statt umgekehrt

Die Schweiz hat mitgehört. Und der Bundesrat wusste von nichts. Zu diesem Schluss kommt die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) in ihrem Bericht über die Crypto AG, über welche ausländische Geheimdienste während Jahrzehnten andere Staaten aushorchten.

Hier gibts den vollständigen Bericht zum Nachlesen

Seit spätestens 2001 durfte der Schweizer Nachrichtendienst mit Zustimmung der Amerikaner ebenfalls mithören, dank einer Hintertüre in den Verschlüsselungsgeräten Made in Switzerland. Völlig legal, wie der GPDel- Bericht feststellt: Das geltende Nachrichtendienst-Gesetz macht solche Abhör-Aktionen im Joint Venture mit anderen Staaten möglich.

Ein Abhör-Coup für die kleine Schweiz

Ein Abhör-Coup sondergleichen für den kleinen Schweizer Nachrichtendienst – der nur möglich war, weil niemand der neutralen Schweiz eine solche Arglistigkeit zutraute.

Dass von diesem Coup weder die Chefs von Geheimdienst noch VBS wussten, klingt unglaubwürdig. Zumal die gewonnenen geheimen Informationen für die Schweizer Regierung äusserst wertvoll waren und in die Schweizer Sicherheits-, Wirtschafts- und Aussenpolitik einflossen, etwa im Falle der Schweizer Geiseln in Libyen. Und weil es doch etliche Mitwisser geben musste; etwa jene Zuger Politiker, die im Verwaltungsrat der Crypto AG sassen.

Niemand will etwas gewusst haben

Fünf amtierende Bundesräte und drei ehemalige Verteidigungsminister hat die GPDel vorgeladen und befragt: Allesamt wollen von nichts gewusst haben. Laut dem Bericht der GPDel waren selbst im Nachrichtendienst nur wenige Leute ins Schweizer Abhör-Geheimnis eingeweiht. Auch dort wollte niemand das Vorgehen absegnen.

Laut dem GPDel-Bericht wurde etwa der ehemalige Nachrichtendienst-Direktor Markus Seiler in seiner Amtszeit über die Crypto AG informiert – er weigerte sich aber, eine entsprechende Informationsnotiz entgegenzunehmen. «Macht es, aber ich weiss von nichts», so schien in Sachen Crypto AG jahrzehntelang das Credo.

Der GPDel-Bericht zeigt nicht nur, dass die Taktik des Schweigens und Wegschauens bis heute funktioniert. Er zeigt auch, dass der Nachrichtendienst eigenmächtig mit der Schweizer Neutralität, der Glaubwürdigkeit und dem Ruf der Schweiz spielte. Alfred Heer, Präsident der GPDel, spricht von einem «Nachrichtendienst im Nachrichtendienst», der dem Bundesrat und den demokratischen Institutionen keine Rechenschaft ablegt.

Nachrichtendienst ausser Kontrolle?

Stimmt es tatsächlich, dass Viola Amherd und alle ihre Vorgänger von nichts wussten, dann führte der Nachrichtendienst den Bundesrat – und nicht umgekehrt, wie dies eigentlich gedacht ist. Es ist riskant, wenn der Nachrichtendienst die Politik an der Nase herumführt und ohne deren Wissen geheime Deals mit ausländischen Diensten abschliesst.

Es scheint dringend nötig, dass der Bundesrat und im speziellen VBS-Chefin Viola Amherd nun den Nachrichtendienst an die kurze Leine nimmt, sämtliche Aktivitäten durchleuchtet und die Mitwisser aufdeckt. Denn von einem ausser Kontrolle geratenen Nachrichtendienst kann der Schweiz viel Schaden entstehen.

André Ruch

Bundeshaus-Redaktor, SRF

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Reporter André Ruch arbeitet seit 2008 für verschiedene SRF-Sendungen. Etwa als Redaktor und Produzent bei der Gesundheitssendung «Puls», als Reporter bei «10vor10» und seit 2018 als Bundeshaus-Redaktor in Bern.

Tagesschau, 10.11.2020, 19.30 Uhr; fulu

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