Das wäre eigentlich ein klares Signal an jene, die an illegalen Demonstrationen mitmachen, sei es für das Klima, das Velo oder eine bessere Welt im Allgemeinen: Eine Demonstration muss verträglich sein. Bei einer bewilligten Demo ist das gegeben: Behörden und Demo-OK sprechen sich ab, damit das «normale» Leben der Anderen weiter funktionieren kann.
Bei einer illegalen Kundgebung gibt es keine solche Absprache. Stattfinden tun sie aber – immer mehr. Critical Mass, die stets wachsende Velo-Kundgebung, ist ein Beispiel. Verschiedene Aktionen der Klima-Aktivisten auch. Illegale Aktionen wären kaum je bewilligungsfähig – aber ihre Illegalität macht sie spektakulär. Die Besetzung des Bundesplatzes vor rund einem Jahr war spektakulär. Die Blockade der Zürcher Quaibrücke im Juni 2020 auch.
Nun muss man wissen: Die Quaibrücke ist eine Hauptverkehrsachse Zürichs. Morgens und abends ist sie verstopft und Trams fahren fast im Sekundentakt über die Brücke von der einen Stadthälfte in die andere. Auch am Samstag, als die Blockade stattfand, hätten hunderte Autos und Dutzende Trams die Brücke passiert – wären da nicht 250 Klimaaktivistinnen und Aktivisten gesessen. Drei Stunden lang.
Bei vielen illegalen Demos schreitet die Polizei in Schweizer Städten nicht ein – man wahrt das Verhältnis, will Strassenschlachten, Sachbeschädigungen oder Verletzungen vermeiden. Für illegal Demonstrierende gibt’s, wenn überhaupt, eine Übertretungsbusse. Wie beim Falschparkieren.
Die illegale Demo gehört in Zürich zum Stadtbild wie die Limmat. Und normalerweise fliesst sie auch so, das heisst: Sie bewegt sich. Hinsetzen und blockieren aber, das geht zu weit, urteilt jetzt ein Zürcher Bezirksrichter. Das ist Nötigung – keine Übertretung mehr, sondern ein Straftatbestand inklusive Strafregistereintrag. Der Richter sprach heute eine Klimaaktivistin also wegen Nötigung schuldig. Anders als ein Protestzug – ob legal oder illegal – schränkt eine Blockade andere Menschen übermässig ein. Sie werden genötigt. Das muss sich niemand gefallen lassen. Weder Autofahrerinnen noch Tramfahrer. Weder fürs Klima noch sonst was. Eine Art Piloturteil sei das, meinte die Staatsanwaltschaft, welche nun für alle 250 Teilnehmer der Blockade dasselbe Urteil will.
Wann wird aus einer einfachen Übertretung eine Nötigung?
Ab wann allerdings aus einer einfachen Übertretung eine Nötigung wird, das definierte das Gericht nicht. Das kommt auf die Umstände an, «das Mass des Duldbaren», wie es der Richter umschrieb. In einem Bundesgerichtsentscheid aus dem Jahre 1982 wird bereits die 15-minütige Blockade eines Autos als «strafwürdige Beschränkung der geschützten Handlungsfreiheit» bezeichnet. In einem anderen Bundesgerichtsurteil ist die einstündige Verzögerung genannt.
Fragt sich nur, ob das juristisch klare Signal in der Praxis Konsequenzen hat. Werden illegale Kundgebungen, die Andere über «das Mass des Duldbaren» einschränken, künftig von der Polizei schneller aufgelöst? Kaum.
Die Gefahr der Eskalation bei einem Polizeieinsatz bleibt ja weiterhin bestehen. Die Polizei müsste jeden und jede Demonstrierende einzeln festnehmen und verzeigen. Die Verzeigung aller 250 Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Quaibrücke war die Ausnahme, nicht die Regel.
Und: Eine Verurteilung wegen Nötigung ist den meisten Protestierenden egal. Die Klimaaktivisten von Extinction Rebellion haben angekündigt, nächstens die ganze Stadt Zürich «friedlich lahmlegen» zu wollen. Auch die Verurteilte sagte heute: Ich mache weiter.