Zum Inhalt springen

Urteil im Fall Spiess-Hegglin «Journalisten müssen sorgfältiger arbeiten»

Ein Gericht hat eine Klage der früheren Zuger Kantonsrätin Jolanda Spiess-Hegglin teilweise gutgeheissen. Ihre Intimsphäre sei durch einen «Blick»-Artikel verletzt worden. Darin ging es um die Geschehnisse, die sich im Anschluss an die Landammannfeier im Jahr 2014 zugetragen haben sollen. Die Beteiligten wurden im Bild gezeigt und mit Namen genannt. Medienjurist Urs Saxer hält das Urteil für richtig – es habe die politische Relevanz gefehlt.

Urs Saxer

Jurist

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Urs Saxer ist Professor an der Universität Zürich und auch als Anwalt tätig. Eines seiner Spezialgebiete ist das Medienrecht.

SRF News: Das Urteil im Fall «Blick» gegen Jolanda Spiess-Hegglin wurde mit Spannung erwartet. Ist es wichtig für das Schweizer Medienrecht?

Urs Saxer: Das Urteil ist von Bedeutung, weil klar festgehalten wird, dass auch bei Politikerinnen und Politikern die Intimsphäre zu beachten ist. Es ist zwar unbestritten, dass Leute, die in der Politik sind, gewisse Einbussen erdulden müssen, was ihre Privatsphäre angeht. Aber bei der Intimsphäre gibt es so etwas wie eine absolute Grenze, das hält das Zuger Kantonsgericht fest.

Darf eine Zeitung über so einem Fall also gar nicht mehr berichten?

Das kommt immer darauf an. Es kann auch Gründe dafür geben, warum man so etwas thematisieren darf. Aber es sind auch bei Politikern Ausnahmefälle.

Wie könnte ein solcher Ausnahmefall denn aussehen?

Wenn gegen einen Exekutivpolitiker, zum Beispiel einen Bundesrat, plötzlich Vergewaltigungsvorwürfe im Raum stehen, dann stellen sich schon gewisse Fragen. So ein Vorwurf kann unter Umständen auch politisch relevant sein.

Die politische Relevanz war zu wenig gross, als dass man ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung hätte rechtfertigen können.

Die politische Relevanz in diesem Fall war zu wenig gross, als dass man ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung hätte rechtfertigen können. Es kann aber Fälle geben, bei denen ein solch öffentliches Interesse besteht. Aber an dieses öffentliche Interesse sind hohe Anforderungen zu stellen.

Viele Menschen geben auf Facebook und Instagram viel Privates preis. Da müsste man doch die Privat- oder Intimsphäre neu definieren. Wenn man das Urteil anschaut, geht dieses doch aber eher in die andere Richtung?

Stimmt, das ist zum Teil eine etwas paradoxe Entwicklung. Aber man muss sagen: Wenn eine Person unabhängig davon, ob sie von öffentlichem Interesse ist oder nicht, ihre Intimsphäre öffentlich macht, so kann sie sich danach nicht mehr auf den Schutz der Intimsphäre berufen, denn sie hat diese selber öffentlich gemacht. Aber das spielte in dem Fall keine Rolle.

Wie sehen Sie die Chancen, dass dieses Urteil bei einem allfälligen Weiterzug Bestand hat?

Ich sehe momentan nicht, warum es nicht Bestand haben sollte.

Was unter Umständen nicht zulässig ist, ist die sogenannte identifizierende Berichterstattung.

Noch nicht entschieden wurde über die Forderung auf Herausgabe des Gewinns, den der «Blick» mit der Berichterstattung erzielt hat. Wie ungewöhnlich wäre es, wenn auch hier die Klägerin Recht bekäme?

Bei der Frage der Gewinnherausgabe ist die Frage der Berechnung eine zentrale und auch eine ganz schwierige. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass in so einem Fall zulasten der Medien entschieden würde.

Was bedeutet das Urteil konkret für den Boulevardjournalismus?

Es ist nicht so, dass es überhaupt unzulässig wäre, über solche Dinge zu berichten. Was aber unter Umständen nicht zulässig ist, ist die sogenannte identifizierende Berichterstattung. Also eine Berichterstattung, aufgrund derer das Publikum merkt, um wen es geht. Bei einer nicht identifizierenden Berichterstattung stellt sich Frage der Verletzung der Intimsphäre nicht.

Das heisst, die Journalisten müssen noch viel sorgfältiger arbeiten?

In Bezug auf die Frage der Intimsphäre ja.

Das Gespräch führte Beat Soltermann.

Meistgelesene Artikel