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Velodemo Critical Mass «Auch an unbewilligten Demos gilt Schutz der Meinungsfreiheit»

In der Stadt Zürich fand am Freitagabend die Velodemo Critical Mass statt. Sie hätte – nachdem sie schon oft ohne Bewilligung durchgeführt und geduldet wurde – neu eine Bewilligung gebraucht. Das hatte der Statthalter nach einer Beschwerde der FDP entschieden. Eine Bewilligung wurde aber nicht beantragt.

Die Stadtpolizei wies am Freitag die Velofahrerinnen und Velofahrer mittels Lautsprecherdurchsage darauf hin, dass die Critical Mass nicht bewilligt sei und Teilnehmende verzeigt werden können. Sie liess die Teilnehmenden grossmehrheitlich gewähren, sprach aber 52 Verzeigungen und Wegweisungen aus . Staatsrechtler Markus Schefer erklärt, wie die Polizei an unbewilligten Demos vorgehen kann und sagt, weshalb solche Anlässe eine Bewilligung brauchen.

Markus Schefer

Staatsrechtsprofessor, Universität Basel

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Schefer ist Staatsrechtsprofessor mit Schwerpunkten in den Rechtsgebieten Grundrechte, internationaler Menschenrechtsschutz und Verfassungsvergleichung an der Universität Basel. Er äussert sich hier nicht zum konkreten Fall – seine Ausführungen sind allgemein zu verstehen.

SRF News: Einige Personen wurden an der unbewilligten Demonstration verzeigt. Ist das die richtige Vorgehensweise der Polizei oder hätte sie härter vorgehen müssen?

Markus Schefer: Allein eine fehlende Bewilligung führt nicht dazu, dass eine Versammlung mit Zwangsmitteln aufgelöst werden darf. Der Schutz der Versammlungs- und Meinungsfreiheit gilt auch in solchen Konstellationen. Es ist die schwierige Aufgabe der Polizei, auch in solchen Konstellationen sicherzustellen, dass möglichst alle Interessen an der Benützung des öffentlichen Grundes gewahrt werden können.

Die Stadt liess Critical Mass bisher ohne Bewilligung gewähren. Wie beurteilen Sie das Vorgehen der Stadt Zürich?

Mir scheint recht klar zu sein, dass diese Veranstaltung auf öffentlichem Grund bewilligungspflichtig ist, wie es der Statthalter auch festgestellt hat.

Dutzende von Velofahrerinnen und-fahrern nebeneinander auf einer Strasse in Zürich.
Legende: Auch am 29. Juli 2023 sind Hunderte ohne Bewilligung gemeinsam durch Zürich gefahren. 52 Teilnehmende wurden verzeigt. Keystone/WALTER BIERI

Für Sie ist unverständlich, dass die Stadt Zürich dies anders bewertet hat?
Ich kenne die Beweggründe der Stadt Zürich nicht, aber auch rechtlicher Sicht erscheint es mir klar.

Alle Gesuche müssen gleichbehandelt werden.

Es geht um die Gleichbehandlung aller Demonstrationen. Der Inhalt einer Demonstration sollte nicht entscheidend sein?

Es ist absolut zentral, dass das Bewilligungsverfahren nicht zum Inhalt Stellung nimmt, der mit einer öffentlichen Versammlung kundgetan wird. Egal, wer um eine Bewilligung nachsucht und egal, welche Meinungen die Gruppierung vertritt. Alle Gesuche müssen gleichbehandelt werden.

Wenn man keine Bewilligung einholt, verhindert man zu einem gewissen Grad die Möglichkeit, dass auch andere Interessen an der Benützung des öffentlichen Grundes gewahrt werden können.

Unbewilligte Demonstrationen sind nichts Neues. Inwiefern sind sie ein Balanceakt für die Polizei?

Man muss zunächst vom Zweck der Bewilligungspflicht ausgehen. Eine Bewilligung soll die Polizei in die Lage versetzen, die unterschiedlichen Interessen wahren zu können. Wenn man keine Bewilligung einholt, verhindert man zu einem gewissen Grad die Möglichkeit, dass auch andere Interessen an der Benützung des öffentlichen Grundes gewahrt werden können. Deshalb ist es wichtig, dass man eine Bewilligung einholt.

Das Gespräch führte Livia Middendorp.

SRF 4 News, 29.07.2023, 10:00 Uhr ; 

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