Nein, der Fünfländerblick hält an diesem Morgen nicht, was sein Name verspricht. Statt auf fünf Länder senkt sich der Blick heute in eine dicke, graue Nebelsuppe. Man hört Kuhglocken, Kühe sieht man nicht.
Ein nebliger Start
Beim Ausflugsrestaurant Rossbüchel beginnt der Trampelpfad, der später zu einem beliebten Highlight auf der Ostschweizer Wanderkarte führt: der neueren Hängebrücke zwischen Grub SG und Grub AR.
Vom Fünfländerblick geht es ziemlich steil hinunter nach Grub – im Kanton St. Gallen. Roger Hochreutener, Gemeindepräsident von Eggersriet – da gehört auch Grub SG dazu – erzählt auf dem Abstieg, dass die Idee einer Brücke schon länger im Raum gestanden sei. Die Wanderwege im Bachtobel sind bei starken Regenfällen immer wieder abgerutscht.
Einmal über die Brücke
Einmal über die Hauptstrasse, vorbei an der Kirche, nach einem Weiler geht es nach links auf einen Kiesweg. Wenige Minuten später steht man vor einem Informationsschild und die Hängebrücke sticht ins Auge. Der Nebel hat sich langsam verzogen. Auch wenn man alleine darüber spaziert – die tonnenschwere Metallkonstruktion gerät gehörig ins Wackeln.
Es ist nicht die längste Hängebrücke der Schweiz. Die hängt im Walliser Mattertal, ist 494 Meter lang und gleichzeitig auch die längste der Welt. Jene in Grub ist auch nicht die höchste des Landes. Der Titlis-Cliff-Walk im Kanton Obwalden befindet sich auf 3020 m.ü.M. und erfordert Schwindelfreiheit: 500 Meter geht es da «s'Loch ab».
Auswirkung auf Natur und Dorfleben
Auch wenn sie keine Rekorde bricht, die Hängebrücke zwischen Grub SG und Grub AR hat einiges bewegt – wenn nur im Kleinen. Im Tobel gab es eine Renaturierung. Seit die Wanderwege nicht mehr durch das Tobel des Mattenbachs führen, holt sich die Natur diese zurück. Ein Blick nach unten bietet viel Grün, ein Rauschen des Bachs und Vogelgezwitscher. Durchatmen.
Am anderen Ende der Brücke betritt man ausserrhodischen Boden. Etwas weiter in der Dorfbeiz von Grub AR, dem Ochsen, treffen sich die Leute zu Kaffee und Mineral. Am Stammtisch weiss man noch, wie es früher war.
Streitereien sind vorbei
Es gebe viele alte Geschichten zwischen den zwei Gemeinden. Heinz Keller, von 1978 bis 1999 Gemeindepräsident von Grub AR erzählt: «Es gab Zeiten, da sagte man sich mit dem Prügel ‹Grüezi›. Man machte sich lustig über die anderen wegen der Religion. Zu meiner Zeit war es aber nicht mehr so schlimm.»
Es gab Zeiten, da sagte man sich mit dem Prügel ‹Grüezi›.
Heute sind die Fehden und Sticheleien längst Geschichte. Eine Zeit lang habe es gar eine gemeinsame Schule gegeben, erzählt ein Besucher am Stammtisch. Man könne es heutzutage lustig miteinander haben, auch wenn man nicht aus demselben Dorf sei.
Ein Spaziergang von Grub nach Grub
Ein symbolisch und wortwörtlich verbindendes Element ist die Hängebrücke. Erich Högger ist seit 50 Jahren Wirt im Ochsen. Etwas Besseres als die Brücke hätte es für die beiden Grub nicht geben können, sagt er. «Es profitieren alle: das Postauto, das Heiden-Bähnli, der Dorfladen, die Metzgerei – kein Museum bringt mehr Leute.»
Frisches Leben in den kleinen Dörfern. Eggersriets Gemeindepräsident Roger Hochreutener, der am Projekt mitgearbeitet hat, ist stolz, als der Spaziergang endet: «Eine Stahlbrücke ist eine Verbindung, die nicht so schnell gekappt werden kann. Wenn man sieht, dass auf beiden Seiten des Mattenbachs die gleiche Stimmung ist, dann hat der Brückenschlag nachhaltig funktioniert. Das ist das Schöne daran.»