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Verkehrte Welt Wettrennen um ein Asylzentrum in der Innerschweiz

Gewöhnlich läuft es so: Bund oder Kanton wollen eine Asylunterkunft eröffnen, die Gemeinde wehrt sich. Nicht so in der Zentralschweiz: Um den Standort des Bundesasylzentrums gibt es schon fast ein Wettrennen.

Rund 17'000 Quadratmeter leere Betonfläche nahe dem Städtchen Schwyz. Etwas trostlos wirkt die Anlage, in der früher die Armee einquartiert war. Auf dem Areal Wintersried soll das neue Bundesasylzentrum für die Zentralschweiz gebaut werden – wenn es nach den Plänen des Bundes geht. Die Gemeinde Schwyz ist einverstanden und sagt Ja zur Umnutzung. Nicht aber der Kanton Schwyz.

Der Schwyzer Regierungsrat Andreas Barraud (SVP) ist verantwortlich für das Dossier Asyl und weibelt dagegen. Er hat andere Pläne mit dem Areal: «Dieses Gebiet hier ist für Unternehmer vorgesehen. Kommt hinzu: die Bevölkerung hat Sicherheitsbedenken.» Sind das vorgeschobene Argumente? Auf Nachfrage sagt Barraud: «Wir wollen kein Asylzentrum im Kanton Schwyz.»

Bund kann sich durchsetzen

2016 haben die Schweizer Stimmberechtigten mit fast 67 Prozent Ja gesagt zur Neustrukturierung im Asylbereich. Das zuständige Staatssekretariat für Migration (SEM) will nun Abläufe im Asylwesen zentralisieren und beschleunigen. 18 Bundesasylzentren will das SEM im EJPD von Bundesrätin Simonetta Sommaruga dafür schweizweit installieren. 13 Standorte sind gesetzt, zwei müssen noch gesucht werden und drei Standorte sind umstritten – darunter der Standort Zentralschweiz.

Dank dem Instrument des Planungsgenehmigungsverfahren kann der Bund ein Bundesasylzentrum an einem Standort einrichten, auch wenn Kanton und Gemeinde dagegen sind. Dazu meint der Schwyzer Regierungsrat Barraud: «Das kann er. Rein rechtlich gesehen. Aber die Frage stellt sich, will sich Frau Sommaruga gegen die Bevölkerung aussprechen?»

Der Standort Schwyz erfülle die Kriterien für ein Bundesasylzentrum am besten, sagen die Spezialisten beim SEM. Vor allem sei es gut erreichbar und schneide wirtschaftlich besser ab als Alternativen.

Asylzentrum nur auf Zeit

Die SVP sammelt jetzt Unterschriften – und das erfolgreich. In den vergangenen drei Monaten hat sie laut eigenen Angaben rund 5400 Unterschriften gegen ein Bundesasylzentrum in der Gemeinde gesammelt. Alle Parteien im Kanton Schwyz, ausser der SP und der Standortgemeinde Schwyz, sind gegen die Pläne des Bundes. Das Anliegen kommt an in der SVP-Hochburg. Nur wenige unterschreiben nicht. Ein Mann meint: «Warum muss dieses Zentrum unbedingt nach Schwyz kommen? Es gibt ja einen Standort oben auf dem Glaubenberg im Kanton Obwalden. Die möchten die Asylsuchenden ja aufnehmen.»

Im Kanton Obwalden, auf über 1500 Metern über Meer, weit weg vom nächsten Dorf, betreibt der Bund auf dem Glaubenberg bereits ein Asylzentrum. Ein Zentrum auf Zeit. Denn es steht mitten in einer Moorlandschaft von nationaler Bedeutung. Würde hier langfristig ein Zentrum betrieben, befürchtet der Bund Beschwerden gegen allfällige Baubewilligungen und wegen des Verkehrs durch die Angestellten.

Asylzentrum kann sich lohnen

In der gleichen Landschaft führt die Armee seit Jahrzehnten Schiessübungen durch. Noch drei Jahre, dann zieht sie sich von hier oben zurück. Dann gilt der Moorschutz – ohne Ausnahme – auch für den Bund. Der Kanton Obwalden akzeptiert den Entscheid des Bundes, den Betrieb des bereits existierenden Asylzentrums spätestens 2022 einzustellen. Aber, sagt Regierungsrat Christoph Amstad (CVP): «Wir bedauern den Entscheid. Für Obwalden wäre es finanziell interessant, ein neues Bundesasylzentrum zu betreiben.»

Denn betreibt ein Kanton ein Asylzentrum, muss er im Gegenzug nicht so viele anerkannte Flüchtlinge aufnehmen. Die nämlich sind für Kantone und Gemeinden teurer. Für anerkannte Flüchtlinge muss der Kanton Steuergelder einsetzen, um für die Integration oder die Sozialhilfe zu sorgen. In ein Bundesasylzentrum hingegen kommen die Asylsuchenden und werden entweder abgewiesen oder auf andere Kantone verteilt. Das kommt einen Standortkanton günstiger.

Auch der Kanton Luzern will

Nicht nur Obwalden, auch der Kanton Luzern hat gemerkt, dass es rentiert, ein Bundesasylzentrum zu betreiben. Regierungsrat Guido Graf (CVP) rechnet der «Rundschau» vor: «In den ersten fünf Jahren gewinnen wir 400'000 Franken pro Jahr, ab dem 10. Jahr sind es 4,5 Mio. Franken.» Mit drei Luzerner Gemeinden führt Regierungsgraf Graf nun Gespräche. Mit welchen, will er nicht sagen.

Denn der Widerstand in den Gemeinden könnte die Pläne des Kantons Luzern durchkreuzen. Selbst in der Vorzeige-Gemeinde Buchrain, wo sich in der Vergangenheit viele Einwohner für Flüchtlinge engagierten, herrscht Skepsis.

Sandra Gerber, Sozialvorsteherin (CVP), erklärt: «Über 300 Asylsuchende in einem einzelnen Bundesasylzentrum – das ist für eine kleine Gemeinde eine grosse Herausforderung. Auch bezüglich Sicherheit.»

Trotz der Zurückhaltung einzelner Gemeinden: Luzern ist entschlossen, sich dem Bund als Standortkanton anzubieten. Und auch Obwalden will sich mit dem Glaubenberg das Bundesasylzentrum holen. Am Donnerstag treffen sich die Kantone und das SEM zu einer Aussprache.

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