Wo früher ein Fussballstadion stand, reiht sich auf dem Stadtzürcher Hardturm-Areal Wohnwagen an Wohnwagen. Die Autokennzeichen stammen aus der ganzen Schweiz, rund 70 Familien wohnen in diesen Tagen hier und feiern die Zigeuner-Kulturtage.
Die Veranstalter verwenden diesen Begriff ganz bewusst. Eine Tabuisierung finden sie nicht förderlich. Diese stehe einer dringend nötigen Aufarbeitung ihrer Geschichte im Weg.
Eine Gipsyband spielt auf – auf dem Grill brutzeln «Zigeunerspiesse». Es gibt Zigeunerpommes oder Zigeunerbier. Das Wort «Zigeuner» ist allgegenwärtig. In der Schweiz verwenden es die Jenischen und Sinti offensichtlich mit grossem Selbstverständnis und auch Stolz.
Alfred Werro, Präsident der Zigeuner-Kulturtage erklärt es so: «Wenn ich zu jemandem sage, ich sei ein Jenischer, und der fragt, was ist ein Jenischer? Dann muss ich ihm sagen: Ein Jenischer kommt von den Zigeunern. Das ist das Sammelwort. Und das war schon immer so.»
Für ihn definiert der Begriff «Zigeuner» seine Person, seine Herkunft, seine Lebensweise. Was er denn noch sei, wenn er den Namen «Zigeuner» wegnehme, fragt er im Lehnstuhl vor seinem Wohnwagen.
Mit dieser Haltung unterscheiden sich die Schweizer Zigeuner von jenen in Österreich oder Deutschland. Dort verzichten die Dachorganisationen tendenziell auf diese Bezeichnung, weil sie abwertend und mit Vorurteilen behaftet sei. Auch in einem Lehrmittel der Pädagogischen Hochschule Zürich steht: Das Wort Zigeuner sei rassistisch – und deshalb nicht zu verwenden.
Verbotskultur bringt nichts
Dieses Argument lässt Alfred Werro nicht gelten. «Ich sehe darin nichts Rassistisches.» Natürlich sei es etwas anderes, wenn jemand von «Dreckszigeunern» spreche. Aber ein Zigeuner zu sein, sei doch keine Schande! Würde das Wort «Zigeuner» verschwinden, würde auch ihre Geschichte verschwinden, ist Alfred Werro überzeugt.
Die jenische Schriftstellerin Isabella Huser sieht das ähnlich. Sie ist Mitglied der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus und sagt, es sei wichtig, zu differenzieren.
Ein Zigeuner zu sein, ist doch keine Schande!
«Aus der Wokeness ist Wichtiges entstanden, es ist eine Sensibilisierung passiert.» Dass es dabei auch zu Übertreibungen gekommen sei, sei wohl unvermeidlich. «Nun ist es an der Zeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren.»
Das Wesentliche sei: Statt ein Wort zu tabuisieren, sei endlich die Geschichte der Jenischen und Sinti in der Schweiz wahrzunehmen und aufzuarbeiten.
Bis ins Jahr 1973 wurden Hunderte jenische Kinder ihren Eltern weggenommen und fremdplatziert. Zwar hat sich der Bundesrat für diese Praxis entschuldigt, doch das reicht Isabella Huser nicht. Denn der Bundesrat habe die Hälfte der Geschichte ausgeblendet: Die rassistisch motivierte, planmässige Verfolgung der Jenischen, mit der Absicht, diese als Volksgruppe auszulöschen. Für diese Anerkennung will sie weiter kämpfen.