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Vielfalt im sozialen Umfeld Schweizerinnen und Schweizer leben in sozialen «Bubbles»

Die Schweiz rühmt sich gerne ihrer Vielfalt – vier Landessprachen, 26 Kantone, unterschiedliche Dialekte. Das Schweizer Volk soll «ihre Vielfalt in der Einheit leben», hält die Präambel der Bundesverfassung fest. Doch im Alltag von Schweizerinnen und Schweizern sieht die Vielfalt anders aus.

Eine repräsentative Studie des Gottlieb Duttweiler Instituts (GDI) zeigt: Schweizerinnen und Schweizer gestalten ihr soziales Umfeld nach dem Motto «Gleich und Gleich gesellt sich gern». Die Bekanntenkreise und Milieus sind nämlich kaum durchmischt – beispielsweise was Einkommensschicht, Bildungsmilieu oder politische Ansichten betrifft.

Methodik und zentrale Begriffe der Studie

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Vielfalt : Die Studie untersucht Vielfalt am verfassungsrechtlichen Diskriminierungsverbot (Artikel 8) anhand von Unterschieden bezüglich Herkunft, Aussehen, Genderidentität, Alter, Sprachregionen, Vermögen, Bildung, sexueller Orientierung, Ernährungsgewohnheiten, Urbanität, Religiosität, politischer Orientierung, psychischer Erkrankungen und Behinderungen.

Bekanntenkreis : Die Studie definiert Bekanntenkreis als «Personen, deren Namen die Befragten kennen und mit denen die Befragten sich kurz unterhalten würden, wenn sie sie auf der Strasse oder beim Einkaufen treffen».

Methodik : Die Studie hat einerseits qualitative Interviews mit acht gemischtgeschlechtlichen Fokusgruppen an vier bis fünf Personen (z.B. zwei Gruppen entsprechend ihrem Bildungsstand) zum Thema Vielfalt durchgeführt. Andererseits wurde eine quantitative Online-Umfrage im Zeitraum vom 19. bis 30. April mit 3460 Menschen zwischen 16 und 80 Jahren aus der deutschen, französischen und italienischen Schweiz durchgeführt.

Wenig Kontakt zwischen Einkommensschichten

Bei den Kontakthäufigkeiten unter Menschen mit gegenteiligen Eigenschaften besteht laut Studie der geringste Kontakt zwischen Einkommensschichten. Ein Viertel der Vermögenden kennt gar keine Armutsbetroffenen, die Hälfte der armen Menschen kennt keine Reichen.

Diese Diskrepanz erklärt die Studie teilweise damit, dass Reichtum einerseits einfacher zu verstecken sei als Armut und Menschen mit wenig Geld nicht immer wüssten, dass manche ihrer Bekannten vermögend seien. Auch sei individuell unterschiedlich, was als arm oder reich verstanden werde.

Weiterer Graben bei Bildungsstand

Bei der Bildung zeigt die Studie einen etwas geringeren, aber dennoch erkennbaren Graben. Zwei Drittel der Hochgebildeten pflegen kaum oder gar keine Kontakte zu Menschen mit niedrigem Bildungsniveau. Bei einem Viertel der Uni-Absolventen besteht der Bekanntenkreis hauptsächlich aus anderen Uni-Absolventinnen.

Ein Viertel beziehungsweise ein Fünftel der Menschen ohne nachobligatorische Ausbildung kennt wenige respektive keine Menschen mit Uni-Abschluss.

Wenig politisch Andersdenkende im Bekanntenkreis

Auch bei der politischen Gesinnung zeigen die Resultate ungleich verteilte Bekanntenkreise: 50 Prozent der Befragten haben niemanden oder nur einige wenige Menschen im Umfeld, die politisch grundsätzlich anders denken. Bei beiden politischen Lagern besteht demnach die Hälfte der Bekanntenkreise grösstenteils aus Gleichgesinnten.

Dennoch scheint es nicht viele Menschen in völlig abgeschlossenen «Bubbles» zu geben: Etwa ein Sechstel der Menschen mit SP/Grünen- oder SVP-Präferenz kennt gar niemanden von der anderen politischen Seite.

Meist nicht absichtlich in «Bubble»

Laut Studie ist das Interesse an mehr Vielfalt vorhanden: Die Mehrheit der Befragten sieht ein durchmischtes Umfeld als persönliche Bereicherung. Jedoch fehle es an Begegnungsmöglichkeiten, wie fast die Hälfte der Teilnehmenden findet.

Dass die meisten Menschen in einer Blase lebten, sei keine Absicht, erklärt GDI-Studienleiter Jakub Samochowiec. Vieles passiere automatisch. «Man wird mit ähnlichen Menschen in eine Schulstufe eingeteilt oder man wohnt in einer Nachbarschaft, wo gewisse Ähnlichkeiten in Bezug auf Herkunft oder finanzielle Situation vorherrschen», sagt Samochowiec. Um aus diesen komfortablen «Bubbles» auszutreten, müsse man aktiv etwas tun.

Als häufigste Begegnungsorte mit «anderen» Menschen haben die Befragten Arbeit, Ausbildung und Freundeskreis genannt. Als Individuum kann man dem GDI-Studienleiter zufolge einem Verein beitreten. Auch jegliche Formen von sozialem oder freiwilligem Engagement machen den eigenen Bekanntenkreis laut Befragten vielfältiger.

GDI-Studie zu Vielfalt im sozialen Umfeld in der Schweiz

Radio SRF 1, 2.9.2024, 16:14 Uhr;stal

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