Tempo 30 auf Hauptstrassen von Städten und Dörfern ist ein Reizthema. Nun sorgt eine Verordnung des Bundesrats dafür, dass die Wogen erst recht hochgehen: Tempo 30 soll auf «verkehrsorientieren Strassen» nur noch in gewissen Ausnahmefällen möglich sein. Im Regelfall soll schweizweit Tempo 50 gelten.
Prompt hagelte es Kritik an der Verordnung, die auf Verkehrsminister Albert Rösti zurückgeht. Der Bundesrat greife mit seinem Entscheid in die lokale Autonomie ein und verwehre der Stimmbevölkerung das Mitspracherecht.
Rückendeckung erhält der Bundesrat vom Parlament: Jüngst hatten die eidgenössischen Räte in einer Motion Gesetzesänderungen verlangt, damit Tempo 30 nur noch auf Siedlungsstrassen möglich wird.
Das Instrument der Verordnung hat Rösti schon mehrfach genutzt. So etwa bei der Senkung der Serafe-Gebühren, als Gegenkonzept zur (von ihm mit lancierten) Halbierungsinitiative. Dies noch bevor das Parlament die Vorlage beraten hatte. Auch die Regulierung des Wolfs trieb der SVP-Bundesrat per Verordnung voran – und sorgte damit für einen Aufschrei aus Umweltschutzkreisen.
Bundesrat kann Gesetze «konkretisieren»
Sind die Vorwürfe gegenüber dem «Verordnungsminister» berechtigt? Oder nutzt er einfach den Spielraum, der ihm als Bundesrat zusteht? «Mit Verordnungen kann die Landesregierung die Anwendung von Bundesgesetzen konkretisieren», erklärt Markus Schefer, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel.
Heisst: Gesetze regeln das Grundsätzliche – und der Bundesrat ist befugt, Formulierungen in Gesetzen klarer zu bestimmen und näher zu definieren. «Vereinfacht kann man sagen: Je vager das Gesetz formuliert ist, desto grösser ist der Spielraum des Bundesrats», so Schefer. «Letztlich kann das Parlament als Gesetzgeber also darüber bestimmen, wie gross der Spielraum des Bundesrats ist.»
Auch andere Regierungsmitglieder haben in der Vergangenheit auf Verordnungen zurückgegriffen – so etwa während der Pandemie. Das Mittel sei sinnvoll, wenn die Zeit dränge, sagte der ehemalige SVP-Bundesrat Adolf Ogi vor einem Jahr gegenüber SRF: «Man sollte aber nicht allzu viel davon Gebrauch machen.»
Das Parlament kann bei Verordnungen ebenso wenig mitentscheiden wie das Volk. Ob der Bundesrat auf Kritik an seinen Plänen reagiert, ist ihm überlassen. Einen Hebel hat das Parlament allerdings: Es kann zwar nicht die Verordnung verhindern, aber das Gesetz ändern, auf dem sie basiert.
Die Mühlen der Demokratie
«National- und Ständerat können jederzeit eine Gesetzesänderung beschliessen», sagt Schefer. «Damit können sie dem Bundesrat stärkere Leitlinien vermitteln, was er darf – und was nicht.» Eine solche Gesetzesänderung würde dann dem fakultativen Referendum unterstehen. Käme es zu einer Volksabstimmung, würde sich der politische Prozess weiter hinziehen.
Gibt es massiven Widerstand gegen eine Verordnung, kann also dagegen vorgegangen werden – auch wenn die Mühlen der Demokratie langsam mahlen. Mittels einer Verordnung kann der Bundesrat aber Fakten schaffen. Zumindest vorläufig.