Die Gewerkschaften hätten in diesem Wahlkampf nicht alles richtig gemacht, sagt zum Beispiel der Solothurner SP-Nationalrat Philipp Hadorn. Er war seit acht Jahren im Nationalrat und ist seit über 20 Jahren gewerkschaftlich aktiv.
Am Sonntag wurde er abgewählt. Er sagt dazu: «Wir müssen selbstkritisch überlegen, warum wir die jungen Leute kampagnentechnisch offenbar weniger angesprochen haben. Inhaltlich positionieren wir uns in Fragen wie Klimaschutz und Frauenthemen seit Jahren.»
Keine Niederlage
Die Gewerkschaften müssten sich nichts vorwerfen, heisst es hingegen von ganz oben. Der Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes SGB, Pierre-Yves Maillard sagt: «Wir haben keine Niederlage einstecken müssen. Es wurden eher mehr Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter gewählt als vorher.»
Maillard selber wurde für die Waadtländer SP neu in den Nationalrat gewählt und mit ihm andere Gewerkschafterinnen.
Rahmenabkommen spielte keine grosse Rolle
Auf die Europapolitik der Gewerkschaften lässt Philipp Hadorn, der Zentralsekretär der Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV, nichts kommen.
Zwar wurden die zwei Berner SP-Nationalräte Corrado Pardini und Adrian Wüthrich, zwei gewichtige gewerkschaftliche Stimmen, nicht wiedergewählt. Sie haben sich an vorderster Front gegen das vorliegende Rahmenabkommen mit der EU positioniert.
Doch ihre Abwahl sieht Hadorn nicht als Quittung von eurofreundlichen linken Wählerinnen und Wählern. «Nein», sagt Hadorn, «ich persönlich habe den Eindruck, dass das Rahmenabkommen in diesem Wahlkampf nicht sehr prägend war und entsprechend auch nicht sehr relevant für den Stimmenausgang.»
Noch deutlicher wird SGB-Präsident Maillard. Er selber habe nämlich im Westschweizer Fernsehen die Gewerkschaftsposition zum Rahmenabkommen lautstark vertreten. Das Resultat: «Ich wurde ziemlich gut gewählt, ich habe das beste Resultat des Kantons gemacht.»
Arbeitgeber versprechen sich eine Deblockierung
Etwas anders beurteilt man das auf der Gegenseite, beim Arbeitgeberverband. Er setzt sich für das vorliegende Rahmenabkommen ein, wenn auch mit kleinen Präzisierungen.
Bei den Arbeitgebern sagt Fredy Greuter, nach diesem Wahlergebnis sei es Zeit für europapolitisches Tauwetter bei den Gewerkschaften. «Wir hoffen auf eine Deblockierung. Es war in den vergangenen Monaten relativ schwierig, weil sich die Gewerkschafter auf diese berühmten roten Linien zurückgezogen haben. Wir sind jetzt zuversichtlich, dass sich in einer neuen Konstellation Bewegung ergeben wird.»
Die Arbeitgeber seien schon wieder im Kampfmodus, kontert der abgewählte SP-Nationalrat Wüthrich. Er hält fest: «Wir werden unsere Haltung nicht aufgrund der Wahlen ändern.»
Abwahl von Männern?
Einen Grund aber gebe es sicher für die Abwahl der prominenten Gewerkschafter, da sind sich die Gewerkschafter einig. Wenn, dann sei es eine Abwahl von Männern gewesen, so SGB-Präsident Maillard.
Im Kanton Bern kandidierten Pardini und Wüthrich wie eh und je auf einer separaten SP-Männerliste, die Frauen auf einer Frauenliste. Das habe eine Rolle gespielt, so Maillard. Und der abgewählte Philipp Hadorn stellt fest: «Gleichstellung hat einen Preis. Den müssen einige bezahlen. Ich bin vielleicht auch einer davon.»