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«Mein erstes Mal» Erstwähler an der Urne – mit Stolz und Vorfreude

400’000 Schweizer dürfen diesen Herbst zum ersten Mal bei den eidgenössischen Wahlen mitbestimmen. Sei es, weil sie erst jetzt volljährig sind oder kürzlich eingebürgert wurden. Fünf von ihnen haben uns erzählt, was sie an die Urne bringt – und warum daheim bleiben für sie keine Option ist.

Für viele Schweizer sind die alle vier Jahre stattfindenden eidgenössischen Wahlen längst zur Routine geworden. Fragt man hingegen bei Erstwählern nach, trifft man auf Begeisterung, Vorfreude und Stolz auf die Demokratie. «Meine Stimme hat Gewicht. Ich allein entscheide, welchen Politiker ich wählen will», sagt Heidina Jordi. Als Wählerin eine aktive Rolle zu spielen, ist der 19-jährigen Elektroinstallateurin aus Uzwil (SG) wichtig.

Auch der schweizweit bekannte Rapper Nemo nimmt diesen Herbst zum ersten Mal teil: «Ich bin unglaublich dankbar, in einem Land zu leben, wo das möglich ist – Leute zu wählen, die meine Meinungen repräsentieren», sagt er.

Die Politologin Anke Tresch von der Universität Lausanne kennt solche Aussagen. In der Wahlstudie «Selects» untersucht sie jeweils, welche Beweggründe Wahlwillige an die Urne gebracht haben: «Das Wahlrecht ist das deutlichste Symbol dafür, dass man ein vollwertiges Mitglied der Gesellschaft ist – das kann durchaus mit Stolz verbunden sein», sagt sie. Die Gruppe der Erstwählenden sei interessant, weil sie aufzeige, wie Wahlberechtigte den Zugang zur Demokratie finden. «Wenn man früh lernt, zu wählen, ist die Hürde tiefer, es später wieder zu tun.»

Der grosse Einfluss der Eltern

Stolz spüren nicht nur jene, die das Wahlrecht mit 18 Jahren frei Haus erhalten, weil sie als Schweizer geboren wurden. Der 45-jährige Emmanuel Mark Bamidele aus Köniz bei Bern hat den Schweizer Pass vor acht Jahren erhalten. Der gebürtige Nigerianer weiss die Vorzüge der eidgenössischen Demokratie besonders zu schätzen.

«In Nigeria kannst du nur zwischen zwei Präsidentschaftskandidaten auswählen. In der Schweiz hingegen darfst du das Parlament wählen und zusätzlich noch mitreden, wenn dir ein Gesetz nicht gefällt.» Mit diesen Rechten seien aber auch Pflichten verbunden – die Pflicht mitzumachen, zum Beispiel: «Wenn man in einem Land lebt, muss man sich auch beteiligen.»

Das sehen freilich längst nicht alle so. Die Beteiligung lag bei den letzten drei nationalen Wahlen zwischen 48 und 49 Prozent. Besonders tief ist sie bei der jüngsten Gruppe, den 18- bis 24-Jährigen. Nur gerade 30 Prozent gingen im Jahr 2015 wählen. Mit einer Ausnahme: «Es gibt Studien, die zeigen, dass die frisch volljährig gewordenen Wahlberechtigten ihr Wahlrecht leicht häufiger wahrnehmen als die übrigen in der jüngsten Wählergruppe», sagt Anke Tresch.

Dafür verantwortlich ist das Elternhaus: «Wer noch Zuhause wohnt, orientiert sich stärker an den Eltern, die in Sachen politische Teilnahme oft Vorbilder sind.» Der Einfluss der Eltern bleibt auf dem Wahlzettel oft noch lange sichtbar.

Fidel Lopez zum Beispiel, 25 Jahre alt, spanisch-schweizerischer Doppelbürger, wählt überzeugt bürgerlich. «Ich werde SVP wählen, weil ich in einer rechten Familie aufgewachsen bin», sagt er.

Aller Anfang ist schwer

«Wer aus einem politischen Haushalt kommt, hat eine höhere Chance, sich später für Politik zu interessieren und an Wahlen teilzunehmen», erklärt Anke Tresch. Doch damit ist es nicht getan. Dieses Jahr buhlen 4600 Nationalratskandidierende auf rund 400 Listen um die Gunst der Wählenden – ein beeindruckendes Durcheinander.

«Der Einstieg ins Wählen ist nicht so einfach», sagt Tresch. «Man muss sich erstmal einen Überblick verschaffen.» Hier kämen oft äussere Einflüsse als Entscheidungshilfen ins Spiel, Ereignisse, die mobilisierten. Etwa 2015, als sich die Flüchtlingszahlen in Europa im Vergleich zum Vorjahr plötzlich verdoppelten. Davon profitierte die SVP. Jeder vierte junge Wähler wählte damals diese Partei. «Die Flüchtlingswelle hat mich politisiert», sagt auch Heidina Jordi.

Rund 130'000 Erstwähler

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Laut einer Schätzung des Bundesamts für Statistik (BFS) sind bei den kommenden Wahlen am 20. OKtober knapp 400'000 Personen zum ersten Mal wahlberechtigt. Sie haben entweder seit den letzten nationalen Wahlen 2015 die Volljährigkeit erreicht (knapp 280'000) oder in diesem Zeitraum den Schweizer Pass erhalten (knapp 120'000). Insgesamt sind laut BFS am Wahltag rund 5,3 Millionen Personen wahlberechtigt.

Die Wahlbeteiligung bei den letzten drei eidgenössischen Wahlgängen betrug zwischen 48 und 49 Prozent. Gemessen an der Wahlbeteiligung der 18- bis 24-Jährigen von 30 bis 35 Prozent 2015 dürften im Oktober 2019 ca. 130'000 Erstwähler an den Wahlen teilnehmen.

Dieses Mal dominiert ein anderes Thema die Diskussionen: der Klimawandel. Die 19-jährige Maturandin Leonie Finger aus Chur ist Teil der Klimabewegung. «Angesteckt und gepackt», ja «wachgerüttelt» sei sie geworden, seit ihre Schwester sie im Frühling an einen Klimastreik mitgenommen habe. Jetzt will sie Grün wählen, denn, «wenn es mit dem Klima Probleme gibt, dann spielen alle anderen Probleme gar keine Rolle mehr».

Haben sich die frischgebackenen Wahlberechtigten ihre Meinung erst einmal gebildet und wissen, welche Kandidierenden ihre Stimme verdient haben, müssen sie nur noch das Wahlmaterial ausfüllen. Bloss wie? Panaschieren, kumulieren, wie geht das?

Für diesen letzten Schritt setzen die Erstwähler auf die Erinnerung an den Staatskundeunterricht. Oder sie können sich wie Nemo auf Vorbilder aus dem Umfeld verlassen: «Früher habe ich meiner Mutter oft beim Wählen zugeschaut. Und ein Freund hat mir geraten, einfach die Wegleitung im Wahlcouvert genau zu lesen. Ich werde rausfinden, wie’s geht – bis jetzt haben es ja die meisten noch irgendwie hingekriegt.»

Was bedeutet wählen für Sie? Können Sie sich an Ihr erstes Mal erinnern? Schreiben Sie es in die Kommentare!

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