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Zürich tut sich schwer mit Harald Naegeli
Aus Echo der Zeit vom 04.10.2017. Bild: Keystone
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Wann ist Kunst Kunst Harald Nägelis Zusammenstösse mit dem Gesetz in Zürich

Ist es Kunst oder Sachbeschädigung oder beides gleichzeitig? Der Konflikt kann diesmal wohl ohne Gericht geschlichtet werden.

In der Anklage-Schrift der Zürcher Staatsanwaltschaft ist haargenau aufgelistet, was Harald Nägeli in den Jahren 2012 und 2013 in der Stadt Zürich angerichtet haben soll: Er habe mit schwarzer Farbe eine abstrakte Strichfigur mit rundem Bauch an der Seepromenade angebracht, heisst es da beispielsweise, anderorts einen Fisch, oder den griechischen Meeresgott Poseidon.

Es ist grotesk. Die meisten Städte wären froh, sie hätten überhaupt so eine Figur. Und hier wird er wegen Sachbeschädigung angeklagt.»
Autor: Philip Ursprung. Zürcher Kunsthistoriker

Sachbeschädigung fremden Eigentums

Mit diesen Sprayereien habe Nägeli fremdes Eigentum beschädigt oder unbrauchbar gemacht, so die Anklage. Das sei Unsinn, erwiderte letztes Jahr der Täter, Harald Nägeli selbst, in einem Interview: «Das kann man in keinem Fall von meinen Figuren behaupten. Im Gegenteil, sie haben die Träger noch bereichert.»

Nägelis Figuren haben vor bald 40 Jahren zum ersten Mal die Gemüter bewegt und die Zürcher Behörden beschäftigt. Jahrelang wurde der geheimnisvolle Sprayer von der Polizei gejagt. Er machte die Zürcher Betongebäude zu seiner Spielwiese.

Als die Polizei Harald Nägeli schliesslich fasste, bekam er die Härte des Rechtsstaats zu spüren. Zu 9 Monaten Gefängnis unbedingt wurde er verurteilt.

Der Richter schrieb damals in seinem Urteil: «Der Angeklagte hat es verstanden, über Jahre hinweg die Einwohner von Zürich zu verunsichern und ihren Glauben an die Unverletzlichkeit des Eigentums zu erschüttern.»

Rehabilitiert, oder doch nicht?

Nägeli fühlte sich von seiner Heimatstadt missverstanden und kehrte Zürich jahrzehntelang den Rücken. Erst 2004 wurde er, mittlerweile ein weltberühmter Künstler, von Zürich quasi rehabilitiert. Der Kanton liess eines seiner einst illegalen Werke an der Fassade der Universität Zürich restaurieren, damit es der Nachwelt erhalten blieb.

Nägei freute sich darüber: «Ich erachte das als ein kulturpolitisches Ereignis ersten Ranges. Es ist das erste Mal, dass der Staat eine Arbeit von mir restauriert und unter Schutz stellen wird.»

Zürich schien sich mit dem einst verfolgten Künstler versöhnt zu haben. In einem Schulbuch des Zürcher Lehrmittelverlags wurde er gar offiziell als Zürcher Pionier geehrt. Doch der Schein trog.

Frische Strichmännchen umgehend entfernt

Die Stadtbehörden goutierten es gar nicht, als Nägeli vor fünf Jahren wieder zur Spraydose griff. Tauchte irgendwo an einer Hauswand ein neuer Nägeli auf, wurden sie von der Stadtreinigung umgehend wieder entfernt.

Diese Sprayereien müssen im öffentlichen Raum entfernt werden.
Autor: Filipo Leutenegger Vorsteher des Zürcher Tiefbauamts

So mache es die Stadt mit allen illegalen Graffiti, sagt dazu Filipo Leutenegger, der Vorsteher des städtischen Tiefbauamts: «Diese Sprayereien müssen im öffentlichen Raum entfernt werden. Wenn wir die Tausenden von Sprayereien jedes Jahr stehen lassen würden, hätte die Stadt ein anderes Gesicht und es gäbe sehr viele Reklamationen.»

Dass damit die Werke eines weltbekannten Künstlers zerstört würden, davon will Leutenegger nichts wissen. Er wehrt ab: «Die Stadt kann nicht wissen, wer sprayt, ob das ein Künstler ist oder nicht. Kunst ungefragt am falschen Ort, ist halt trotzdem eine Sachbeschädigung.»

Kunst an der Grenze zwischen Freiheit und Gesetz

Das sei eine haarsträubende Aussage, findet der Zürcher Kunsthistoriker Philip Ursprung. Sie zeige, dass die Zürcher Stadtbehörden nichts gelernt hätten in den letzten 40 Jahren. «Es ist grotesk. Die meisten Städte wären froh, sie hätten überhaupt so eine Figur. Sie würden sie unterstützen und pflegen. Und hier wird er wegen Sachbeschädigung angeklagt», sagt er.

Bei Nägelis Kunst gehe es ja gerade um die Frage, wo die Grenze zwischen Freiheit und Gesetz liege, so Ursprung. «Natürlich ist es ein Übertreten von Grenzen. Das ist seine Kunst. Zugleich bringt er ja Anziehungspunkte und Mehrwert und Aufmerksamkeit.» Die Stadt sei nun gefordert, mit der neuen Wahrnehmung umzugehen.

Kein Urteil gegen den Künstler

Das hat sich offenbar auch das Zürcher Bezirksgericht gesagt, denn es wollte heute kein Urteil gegen Harald Nägeli fällen. Stattdessen forderte es den 78-Jährigen auf, er solle mit der Stadt eine aussergerichtliche Lösung suchen. Beide Seiten zeigen sich offen für solche Gespräche.

Das ist zwar noch nicht die grosse Versöhnungsgeste zwischen der Stadt Zürich und einem ihrer bekanntesten Künstler, aber es ist ein Schritt aufeinander zu.

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