Es sollte eigentlich der perfekte Moment sein. Freude, Stolz, Liebe: Eltern zu werden geht in der Regel mit einem überwältigenden Glücksgefühl einher. Mit der Geburt begann für Tina Gut allerdings ein Lebensabschnitt, der sie an emotionale Grenzen brachte.
Acht bis neun Monate nach der Geburt ihres zweiten Kindes bemerkte Gut Anzeichen körperlicher Erschöpfung. «Ich konnte mich nicht mehr regenerieren, wurde verzweifelter, wütender und mir wurde klar, dass ich professionelle Unterstützung brauche.»
Tina Gut litt an einer postpartalen Depression. Diese geht über den bekannten Babyblues hinaus und äussert sich mit Stimmungsschwankungen oder extremer Müdigkeit, auch Bindungsprobleme zum Kind können auftreten.
Eine Studie, die an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel gemacht wurde, kommt zum Schluss, dass in der Schweiz etwa jede sechste Mutter nach der Geburt an einer postpartalen Depression leidet. Auch Väter können davon betroffen sein.
Schweizweite Premiere: Erstes Tageszentrum für Betroffene
Tina Gut hat einen Weg aus der Depression gefunden. «Für mich und meine Familie war es ein langer und schwieriger Weg. Ich musste mir eingestehen, dass es mir nicht gut geht, dass ich im Alltag Entlastung brauche und fachliche Unterstützung benötige.»
Heute gibt Gut ihre Erfahrungen weiter und betreut betroffene Mütter. Sie arbeitet im Inselhof in Zürich, zu dem neu auch ein ambulantes Tageszentrum gehört, das sich spezifisch den psychischen Problemen von Eltern nach der Geburt eines Kindes annimmt.
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Bild 1 von 3. Das Tageszentrum für Betroffene von postpartaler Depression befindet sich neben dem Stadtspital Triemli. Bildquelle: SRF/Dominik Steiner.
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Bild 2 von 3. In mehreren Zimmern des neuen Zentrums können sich Mütter und Väter zurückziehen. Bildquelle: SRF/Dominik Steiner.
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Bild 3 von 3. Sie finden Ruhe und erhalten auch im Beisein ihrer Kinder professionelle Unterstützung. Bildquelle: SRF/Dominik Steiner.
Das Angebot in Zürich ist schweizweit das erste seiner Art. Und es sei dringend nötig, sagt Ursula Koch, Geschäftsleiterin des Inselhofs. «Wir haben bei rund 17'000 betroffenen Müttern im Jahr nicht genügend ambulante und stationäre Therapieplätze.»
Meist sei ein Therapieplatz mit langen Wartezeiten verbunden, sagt Koch weiter. Und eine stationäre Aufnahme von Betroffenen führe oft dazu, dass Kind und Eltern getrennt würden. Das sei nicht zielführend, ist Koch überzeugt.
Eine Alternative bietet hier die ambulante Therapie, wie sie in Zürich angeboten wird. «Es ist wichtig, dass es ein ambulantes Angebot gibt, das sich nicht nur der Stabilisierung der psychischen Gesundheit der Mutter annimmt, sondern auch die Mutter-Kind-Bindung fördert.»
Das Ziel sei, das gesamte Familiensystem zu stabilisieren, sagt Koch weiter. Und der Inselhof biete dieses niederschwellige Angebot – verschiedene Beratungs- und Therapieangebote, die Betroffene nutzen und am Abend nach Hause gehen können.
Die Gefühle der Mutter sind bei der Therapie entscheidend
Eine solche Beratung läuft ganz unterschiedlich ab, erklärt Ursula Koch. Je nachdem wie es der Mutter gehe. «Es gibt Mütter, die haben grosse Angst, das Kleinkind auch nur einen Moment wegzugeben. Dort geht es darum, loszulassen und zu vertrauen.»
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Andere Mütter würden fast nichts spüren, und da gehe es darum, die Bindung zum Säugling aufzubauen, so Koch. Die Therapie findet zum Teil in einer Gruppe, aber auch als Einzelgespräch statt. Und Beraterinnen wie Tina Gut erzählen von eigenen Erfahrungen.
Aktuell bietet der Inselhof sechs solche ambulanten Therapieplätze an. Das Angebot wird ausgewertet und soll – wenn alles nach Plan läuft – auch ausgebaut werden. Ziel ist es, dass bereits 2027 zwölf Therapieplätze angeboten werden können.