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Erste Pille in den USA Verliert die postpartale Depression ihren Schrecken?

Ein Kind zu bekommen, ist nicht immer nur eitel Sonnenschein: Manche Frauen fallen nach der Schwangerschaft und der Geburt in eine tiefe Depression. Nun hat in den USA die Arzneimittelbehörde FDA ein neues Medikament gegen die sogenannte postpartale Depression zugelassen.

15 Prozent der Frauen in der Schweiz stürzt die Geburt ihres Kindes in eine Krise: Sie erleiden eine postpartale Depression, umgangssprachlich auch als «Wochenbettdepression» bezeichnet: Statt Freude über das neugeborene Kind, empfinden die Betroffenen Angst, eine tiefe Traurigkeit und Schuldgefühle. Dieser Zustand ist nicht zu verwechseln mit dem Baby-Blues, der die meisten Mütter nach der Geburt ereilt und rasch vorbeigeht. Eine Wochenbettdepression hält wochenlang an – und kann für Frau und Kind sehr bedrohlich werden.

Nun hat die US-Arzneimittelbehörde FDA «Zurzuvae» zugelassen, die angeblich erste Pille gegen postpartale Depression.

Die Zulassung: Eine gute Nachricht?

«Ja, auf jeden Fall», sagt die Frauenärztin Sibil Tschudin vom Universitätsspital Basel. «Postpartale Depression kommt relativ häufig vor, und entsprechend ist es gut, verschiedene Therapieansätze haben.»

Als Leiterin der Abteilung für gynäkologische Sozialmedizin und Psychosomatik sieht Sibil Tschudin viele Mütter, die von postpartaler Depression betroffen sind. Den Hauptnutzen des neuen Medikaments sieht die Ärztin im raschen Wirkungseintritt: «Bei anderen Antidepressiva dauert es relativ lange, bis sie wirken, dieses Medikament jedoch scheint rasch einen Effekt zu zeigen, was sehr erfreulich ist.»

Zulassungsstudien

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Zurzuvae, entwickelt von den Pharmafirmen Sage und Biogen, ist in zwei kontrollierten Studien im Vergleich zu einem Placebo getestet worden. Seine Wirkung entfaltet das Medikament nach ein bis zwei Tagen. Bereits nach zwei Wochen soll es wieder abgesetzt werden können.

Für Sibil Tschudin sind das erst einmal Hinweise, dass man postpartale Depression so effizient behandeln könnte. Doch es stellten sich auch Fragen: «Man weiss zum Beispiel nicht, wie nachhaltig die Wirkung ist», so Sibil Tschudin. Zudem gebe es aus den Zulassungsstudien keine Daten, ob Zurzuvae auch während der Schwangerschaft angewendet werden könne.

Schliesslich hat auch dieses Medikament laut FDA heftige Nebenwirkungen: Es können Schläfrigkeit, Kopfschmerzen oder Schwindel auftreten.

«Die Wunderpille wünschen sich alle»

Susanne Grylka ist Hebamme und leitet die Forschung am Institut für Hebammenwissenschaft und reproduktive Gesundheit an der ZHAW in Winterthur. Hebammen verabreichten zwar keine Medikamente, so Susanne Grylka, spielten aber fürs Wochenbett eine wichtige Rolle: Hebammen besuchen Mütter regelmässig zu Hause, bis zu acht Wochen nach der Geburt. «Bei solchen Hausbesuchen bekommt die Hebamme auch Hinweise, wie’s den Eltern psychisch geht.»

Susanne Grylka sieht die Zulassung von Zurzuvae grundsätzlich positiv: «Die Wunderpille wünschen sich wahrscheinlich alle.» Gleichzeitig ist die Hebammenexpertin skeptisch: Mit der «Wunderpille» gehe man den Ursachen der Depression nicht mehr auf den Grund, sondern behandle einfach die Symptome.

Zudem mache diese Pille ja auch müde – da stelle sich die Frage, wie sich das aufs Kind auswirke, ob zum Beispiel Stillen längerfristig möglich sei. Die an den Zulassungsstudien beteiligten Frauen durften alle nicht stillen. «Solche Fragen sind sehr wichtig und müssen geklärt werden», findet Susanne Grylka.

Diese Einschätzung teilt auch Frauenärztin Sibil Tschudin: Das Medikament könnte eine gute Ergänzung sein, um postpartale Depression zu behandeln, «aber man muss jetzt erst einmal Erfahrungen sammeln.»

In den USA soll das Medikament bald auf den Markt kommen. In der Schweiz ist laut Swissmedic noch kein Zulassungsgesuch für Zurzuvae eingegangen.

Rendez-vous, 16.08.2023, 12:30 Uhr

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