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Wie schlimm ist es wirklich? Bauern fordern Aufklärung zum Insektensterben

Wo früher das blühende Leben surrte, herrscht jetzt Stille. Nun wollen auch die vielgescholtenen Bauern wissen, warum.

Es kreucht und fleucht weniger auf unseren Wiesen als noch vor Jahren. Die Zahl von Käfern, Fliegen, Mücken oder Schmetterlingen hat abgenommen. «Wir wollen jetzt endlich wissen, warum die Insekten sterben», fordern die Naturfreunde Schweiz zusammen mit den Bienenzüchtern und dem Bauernverband.

Mit dem Bauernverband? Fachleute dürften sich die Augen reiben. Denn für sie ist klar: Die Bauern tragen mit der intensiven Landwirtschaft die Hauptverantwortung für das Verschwinden der Insekten.

Bauernverband will wissen, wie es um Insekten steht

Doch das Insektensterben lasse auch die Landwirte nicht kalt, sagt der Direktor des Schweizer Bauernverbandes, Jacques Bourgeois: «Wir sind besorgt über das Insektensterben. Denn uns ist bewusst, dass die Insekten sehr wichtig für die landwirtschaftliche Produktion sind.»

Bienen, Wildbienen und Hummeln brauche es zur Bestäubung der Obstbäume. Wo die Insekten verschwinden, sei deshalb unsere Lebensgrundlage gefährdet. Der Bauernverband fordert nun zusammen mit anderen Verbänden, der Bund müsse die Ursachen und das Ausmass des Insektensterbens in der Schweiz genauer abklären.

Die Vielfalt der Pflanzen ist nicht mehr gross genug, damit sich eine Vielzahl von Insekten davon ernähren kann.
Autor: Georg Artmann Freiberuflcher Feldbiologe

Wer die Natur allerdings schon längere Zeit beobachtet, weiss genau, wo Insekten verschwinden und wo nicht. Georg Artmann zum Beispiel kennt 5000 Insektenarten und macht seit gut 25 Jahren gross angelegte Bestandesaufnahmen in der Region Olten.

Im hügeligen Jura auf Magerwiesen, die unter Schutz gestellt worden sind, sei die Zahl der Insekten in den letzten Jahrzehnten durch Zuwanderung sogar gestiegen, sagt er: «In den intensivierten Landwirtschaftsgebieten im Flachland ist aber stellenweise eine sehr grosse Abnahme zu verzeichnen.»

Traktor auf einer Spargelplantage
Legende: Die hochspezialisierte, moderne Landwirtschaft bietet nicht eben das beste Biotop für Insekten... Keystone

Es gebe da zwar stark gedüngte Wiesen, auf denen im Frühling der Löwenzahn fast flächendeckend gelb blühe – und die Leute hätten auch Freude daran – sagt der erfahrene Insektenkundler. Aber für die allermeisten Insektenarten seien solche Wiesen eine Einöde: «Die Vielfalt der Pflanzen ist nicht mehr gross genug, damit sich eine Vielzahl von Insekten davon ernähren kann.»

Sterben die Insekten, sterben die Vögel

Das hat auch Auswirkungen auf viele andere Tierarten. Auf die Vögel zum Beispiel. Soeben ist die neue gross angelegte Bestandesaufnahme aller Vogelarten in der Schweiz abgeschlossen worden, sagt Michael Schaad von der Vogelwarte: «Wir haben festgestellt, dass der Bestand an Vögeln des Landwirtschaftsgebietes, die sich ausschliesslich von Insekten ernähren, seit 1990 um fast 60 Prozent abgenommen hat.»

Blick in Waldstück
Legende: Ungleich einladender sind dagegen naturbelassene Wälder: Hier fühlen sich Insekten und Vögel wohl. Keystone

Im Wald hingegen, der naturnaher geworden ist und wo Pestizide verboten sind, hat die Zahl der insektenfressenden Vögel um 25 Prozent zugenommen. Die Landwirtschaft trägt also – gemäss Experten – eine sehr grosse, wenn nicht gar die Hauptverantwortung für das Verschwinden der Insekten.

Bauern wollen nicht Sündenbocke sein

Sollte man also nicht so schnell wie möglich handeln? Weniger Pestizide verwenden, weniger güllen, mehr Unkraut zulassen? Nein, sagt der Direktor des Bauernverbandes. Denn – nicht nur die Bauern seien Schuld: «Die Landwirtschaft verliert pro Sekunde einen Quadratmeter, der asphaltiert oder zubetoniert wird. Das hat auch Einfluss auf die Insekten.»

Die Überbauung der Schweiz, die Lichtverschmutzung, all das müsse mit in Betracht gezogen werden. Zudem seien die Bauern ja auch nicht untätig: «Jeder Betrieb muss jetzt sieben Prozent seiner Fläche zu Biodiversitätsflächen machen.»

Erst gelte es all diese Punkte genau abzuwägen und zu gewichten. «Wir brauchen eine wissenschaftliche Studie, die das wirklich transparent macht», fordert Bourgeois. Erst dann, sagt Bauernverbandsdirektor, erst dann sei es angezeigt, mehr gegen das Insektensterben zu unternehmen.

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