Zum Inhalt springen

Wiedergutmachung Verdingkinder «Manche wollen sich nicht nochmals beim Staat melden»

Sie wurden verdingt, administrativ versorgt oder zwangssterilisiert. Bis 1981 wurden zehntausende von Menschen in der Schweiz Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen. Seit einem Jahr können Opfer als Anerkennung ihres Leids einen Solidaritätsbeitrag von maximal 25'000 Franken beantragen.

Treibende Kraft hinter dieser Aufarbeitung und Wiedergutmachung ist Guido Fluri. Der Unternehmer und Millionär lancierte eine Wiedergutmachungs-Initiative, die er dann zu Gunsten des Gegenvorschlages von Bund und Parlament zurückzog. Bis vorgestern Mittag gingen knapp 7200 Gesuche ein – obschon Schätzungen davon ausgehen, dass noch 12'000 bis 15'000 Betroffene leben.

SRF News: Sind Sie enttäuscht, dass sich nicht mehr Menschen melden?

Guido Fluri: Viele sind isoliert, haben keine Kenntnis gehabt von diesem Anerkennungsbeitrag und ein gewisser Teil dieser Betroffenen ist auch nicht bereit, sich nochmals bei diesem Staat zu melden, der ihnen so viel Leid angetan hat.

Sind vielleicht 25'000 Franken zu wenig, um sich dem Schmerz nochmals zu stellen?

Kein Geld der Welt kann ein solches verpfuschtes Leben wiedergutmachen. Es ist ein Solidaritätsbeitrag vom Parlament und von den Schweizer Bürgern.

Hat man vielleicht zu wenig unternommen, um diese Leute zu erreichen?

Wir sind etwas überrascht worden. Betroffene müssen zuerst Mut fassen können, um ein Gesuch zu stellen. Daher muss man zuerst mit ihnen sprechen, sie ernst nehmen. Erst in einem zweiten und dritten Schritt, sind sie bereit, ein Gesuch einzureichen.

Haben die Behörden genügend gemacht, um diese Menschen zu erreichen?

Ich war ja selber oft beim Bundesamt für Justiz. Der Vizedirektor hat hier enorm viel geleistet. Auch die Anlaufstellen haben sehr zügig gearbeitet.

Noch vor ein paar Jahren war es undenkbar, dass man bei einem Staatsarchivar Unterlagen bekommen hätte für die Geschichte von diesen Zwangsmassnahmen vom letzten Jahrhundert.
Autor: Guido Fluri Initiant

Noch vor ein paar Jahren war es undenkbar, dass man bei einem Staatsarchivar Unterlagen bekommen hätte für die Geschichte von diesen Zwangsmassnahmen vom letzten Jahrhundert.

Bis Ende kommender Woche läuft die Frist ab. Was, wenn Menschen sich erst später entscheiden, sich zu melden.

Diese Frist wurde vom Parlament festgelegt. Das ist wichtig. Wenn die Frist länger angedauert hätte, wären diese Menschen vielleicht gestorben. Ich denke aber, man drückt sicher beim einen oder andern ein Auge zu. Aber grundsätzlich gilt diese Frist wie sie vom Parlament vorgegeben wurde.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Guido Fluri

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Guido Fluri wurde 1966 als uneheliches Kind einer 17-jährigen Serviertochter geboren, die kurz nach seiner Geburt an Schizophrenie erkrankte. Seine Kindheit war geprägt durch Fremd- und Heimplatzierungen. Er wuchs mit dem Gefühl auf, dass er nichts könne, nichts sei und auch nie etwas werde.

Mit 20 bekam der gebürtige Solothurner die Chance seines Lebens: Ein Bauer verkaufte ihm 700 Quadratmeter Bauland – und eine Bank lieh ihm das nötige Kapital. Fluri baute ein Zweifamilienhaus, das er kurz darauf mit einem Gewinn von 250‘000 Franken weiterverkaufte.

Heute ist Guido Fluri Multi-Millionär. Der Zuger Unternehmer steckt rund ein Drittel seiner Gewinne in eine Stiftung, die sich im Bereich Hirntumore, Gewalt an Kindern und Integration von schizophrenen Menschen engagiert.

2014 lancierte Fluri die Wiedergutmachungs-Initiative, welche zu einer finanziellen Entschädigung von Verdingkindern, Heimkindern und Opfer von Zwangsmassnahmen führte.

Meistgelesene Artikel