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Wirtschaftsfaktor Flüchtlinge Teure Mini-Zimmer für Arme

Gemeindepolitiker sind aufgeschreckt: Findige Geschäftsleute kaufen alte, leerstehende Häuser und bauen kleine Zimmer ein. Diese vermieten sie an Flüchtlinge und Sozialhilfeempfänger. Nun wehren sich die Gemeinden. Denn sie müssen die überrissenen Mieten bezahlen.

Martina Bircher hat eine Mission. Die SVP-Grossrätin will, dass Aarburg nicht mehr Spitzenreiter ist, wenn es um die Sozialhilfeausgaben im Aargau geht. Ihr Rezept: Billigen Wohnraum kaufen und dann vernichten oder renovieren, damit Sozialhilfeempfänger einen Bogen um die Kleinstadt machen.

Ein Dorn im Auge ist Bircher vor allem der Burghof, ein ehemaliges Hotel mitten im Ort. Ein Tamile hat das Haus vor zwei Jahren gekauft. Darin sind zum Teil winzig kleine Zimmer, vermietet an anerkannte Flüchtlinge für 600 Franken. Toiletten und Duschen befinden sich auf der Etage. Türen, Lüftungen, Fenster und Toiletten sind teilweise in erbärmlichem Zustand.

Ärger in Rothrist

Der Eigentümer ist ein Tamile, der eine Immobilienfirma in Luzern leitet und mehrere Häuser besitzt, in denen Flüchtlinge einquartiert sind. Auch im Nachbarort Rothrist befindet sich ein solches Haus. Die Gemeinde wollte es kaufen, war aber zu spät. Jetzt wohnen neun Flüchtlinge drin, für ein Zimmer zahlen sie 650 Franken. Gemeinderat Philipp Steffen ärgert sich: «Die Schwierigkeit ist, dass hier Steuergelder hineinfliessen. Hätte die Gemeinde das Haus gekauft und würde selbst Flüchtlinge unterbringen, wäre das viel billiger.»

Denn Gemeinden sind gesetzlich verpflichtet, Sozialhilfeempfängern neben anderen Leistungen auch die Miete zu begleichen. Das gilt selbstverständlich auch für anerkannte Flüchtlinge, welche auf Sozialhilfe angewiesen sind. Die Folge: Überrissene Mietzinsen gehen Zulasten der Gemeindekassen.

Goldene Nase verdient

Es ist ein Wettlauf zwischen Gemeinden und skrupellosen Geschäftemachern. Das ärgert SVP-Gemeinderätin Bircher. «Es gibt Liegenschaftsbesitzer, die sich eine goldene Nase verdienen und anfangen, extra kleine Zimmer einzubauen», erklärt sie. «Wir als Gemeinde sind dazu verdammt sind, zu zahlen.»

Die skrupellosen Zimmervermieter ziehen jedoch Sozialhilfeempfänger geradezu an – was das Problem für die betroffenen Gemeinden verstärkt. Zum Beispiel in der Stadt Laufenburg: Sie hat zwanzig Millionen Franken bereitgestellt, um alte Liegenschaften zu sanieren. Damit will die Stadt verhindern, dass weiter arme Leute in unrenovierte Häuser einziehen. Manchmal sind die gewieften Immobilienleute aber schneller. Das ehemalige Restaurant Salmen hat im Frühjahr ein Türke gekauft. Kurzerhand baute er kleine Zimmer ein und vermietet sie nun an 17 Flüchtlinge. Die Stadt setzte sich zur Wehr: Wegen überhöhter Rendite musste der Eigentümer den Mietzins für ein Zimmer von 600 auf 490 Franken senken.

Weniger Wohnungen, weniger Sozialhilfeempfänger

Das Vorgehen der Gemeinderätin Bircher gegen die Miet-Abzocker ruft auch Gegnerinnen auf den Plan. Denn die SVP-Politikerin hat neben der Gemeindekasse auch die Sozial- und generell die Flüchtlingspolitik im Visier: Fehlt in einer Gemeinde Wohnraum für Sozialhilfeempfänger, ziehen diese erst gar nicht dorthin. Der Verein «Nordstern», der sich um das Problemquartier Aarburg-Nord kümmert, hält Frau Birchers Abriss-Pläne deshalb für «herzlos». «Ich verurteile ihre politische Haltung», sagt Vereinsmitglied Christine Dubler. «Man kann nicht allen Ausländern die Schuld geben, dass Aarburg finanziell im Schlamassel steckt.»

Tatsächlich hat Martina Bircher mit ihrer rigorosen Politik bereits einen ersten Erfolg erzielt. Im Ranking um den Anteil an Sozialhilfeempfängern im Aargau hat Aarburg die Sozialhilfequote von 5,9 Prozent auf 5,2 Prozent gesenkt. Damit konnte Aarburg die ungeliebte Spitzenposition bei den Sozialhilfeausgaben an die Gemeinde Spreitenbach abgeben.

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